Zum neuen OECD-Bildungsbericht - Elternhaus ist für den Bildungserfolg wichtiger als die Schule

Forschung

Der Exportweltmeister Deutschland braucht gut ausgebildete Fachkräfte, um den Wohlstand auch in Zukunft zu erhalten und zu mehren. Der Anfang September erschienene OECD Bericht "Bildung auf einen Blick" enthält diesbezüglich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland bei den Schülerleistungen in Europa ganz vorne mit dabei ist. Die schlechte Nachricht ist, dass wir auch bei der Variationsbreite der Schülerleistungen zur Spitzengruppe in Europa zählen. Ebenso wie es viele (sehr) gute Schülerinnen und Schüler gibt, gibt es leider auch viele mit einem (sehr) niedrigen Leistungsniveau. Wie lassen sich die beiden Resultate – hohe durchschnittlich Leistungen und große Ungleichheit – auf einen Nenner bringen?

In erster Linie spielen hier familiäre und schulische Ursachen sowie deren Interaktion eine Rolle. Warum dies gerade in Deutschland zu einer derart gravierenden Ungleichheit führt, ist Gegenstand laufender Forschungen am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, unter anderem im Leibniz-Netzwerk "Nichtkognitive Fähigkeiten: Erwerb und ökonomische Konsequenzen". Dr. Friedhelm Pfeiffer, Bildungsökonom und Stellvertretender Forschungsbereichsleiter Arbeitsmärkte am ZEW erklärt: "Der Einfluss des Familienhintergrundes auf die ungleichen Schülerleistungen wird bislang stark unterschätzt, während die Rolle der Schule gerne überschätzt wird."

Das psychosoziale und sozio-emotionale Familienumfeld sei für den Bildungserfolg letztlich wohl wichtiger als die Schule, erklärt Pfeiffer. "Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Faktoren, die die Entwicklung von kognitiven und nichtkognitiven Fähigkeiten im Vorschulalter fördern, auch entscheidend für den Schulerfolg sind." Die grundlegenden kognitiven und motorischen Fähigkeiten wie etwa Gedächtnisleistung, mathematisch-logische Fähigkeiten, allgemeine Problemlösungsfähigkeit sowie sprachliche Fähigkeiten werden von einem responsiven Familienumfeld, in dem die Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter sowohl einen emotionalen Rückhalt wie auch die notwendige (Boden-)Freiheit erfahren, befördert. In einem Familienumfeld, das durch Abneigung, häusliche Gewalt oder Vernachlässigung gekennzeichnet ist, können sich die vorhandenen Fähigkeiten der Kinder nicht entfalten. Solcherart benachteiligte Kinder haben es regelmäßig schwerer, in der Schule Tritt zu fassen. "Sie sind stärker mit der Verarbeitung ihrer negativen Eindrücke aus der Familie befasst und bleiben damit im herkömmlichen Unterricht allein gelassen", sagt Pfeiffer.

Bildung ist ein kumulativer Prozess. Alle Stufen sind wichtig, alle greifen ineinander. Damit kommt auch die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten, die in PISA gemessen wird, zu kurz, obwohl diese Fähigkeiten an sich vorhanden sind. Die Schule, so Pfeiffer, müsse stärker als bisher den Kindern beistehen, die aufgrund ihrer familiären Herkunft benachteiligt sind. Dazu müssten einerseits Förderprogramme für die Entwicklung der nichtkognitiven Fähigkeiten verbessert werden. Durchhaltevermögen, Motivation, Persistenz und Selbstwirksamkeit könnten im Schulalter mit entsprechender Förderung noch deutlich verbessert werden. Dies würde langfristig einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Nutzen haben und auch den leistungsstarken Kindern zugute kommen.

Zu bedenken sei aber auch, so Pfeiffer, dass Schulen nicht zaubern könnten. Für ein gutes Fundament sei die Familie unerlässlich. Letztlich würden wichtige Grundlagen der Fähigkeit zum lebenslangen Lernen bereits lange vor Eintritt in den Kindergarten gelegt. Die Kehrseite dieser Erkenntnis sei, dass frühe Misserfolge beim Lernen weitere Misserfolge fördern. Von ihrem psychosozialen Familienhintergrund her benachteiligte Kinder erführen schon sehr früh solche Misserfolge, unter anderem durch eine fehlende angemessene emotionale Begleitung in ihrem Wunsch nach Kompetenzbildung, so Pfeiffer. Von daher müssten mehr öffentliche Mittel in den (ganz) frühen Lebenszyklus verlagert werden. Mehr Vorsorge sei das ökonomische Gebot der Stunde.

Das ZEW stellt auf seiner Bildungsplattform im Internet aktuelle Informationen und Ergebnisse der Bildungsforschung bereit.

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PD Dr. Friedhelm Pfeiffer, Telefon: 0621/1235-150, E-Mail: pfeiffer@zew.de