Bildungsgipfel: Erwartungen an die Schulen nicht überziehen – Eltern wichtiger für Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg

Forschung

Der Bildungsgipfel in Berlin ist ein wichtiges Signal, die wachsende Ungleichheit der Bildungs- und Erwerbschancen nicht länger hinzunehmen. "Es muss jedoch sehr genau überlegt werden, wo im Bildungssystem investiert werden soll, um mit den eingesetzten Mitteln einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Vor allem muss berücksichtigt werden, dass es nach wie vor die familiäre Situation ist, die über Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg entscheidet und weniger die Schule", erklärt Dr. Friedhelm Pfeiffer, Senior Researcher am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Koordinator des ZEW für das Leibniz-Netzwerk "Nichtkognitive Fähigkeiten: Erwerb und ökonomische Konsequenzen".

Eine aktuelle Studie des ZEW in Kooperation mit dem Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim macht die große Bedeutung der Familien bei Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg deutlich. So werden die grundlegenden kognitiven und motorischen Fähigkeiten wie etwa Gedächtnisleistung, mathematisch-logische Fähigkeiten, grundlegende Problemlösungsfähigkeit oder Sprache überwiegend in der Familie entwickelt. Allenfalls die Grundschule hat hierauf noch einen Einfluss. Anders sieht es bei den grundlegenden nichtkognitiven Fähigkeiten wie Durchhaltevermögen, Motivation, Persistenz oder Selbstregulation aus. Sie können sowohl in der Familie als auch in der Schule verbessert werden. Die Studie zeigt ferner, dass die bereits in der Familie gebildeten grundlegenden Fähigkeiten signifikant zu besseren Noten in der Schule führen und die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, erhöhen. Nur 15 Prozent der erstgeborenen Kinder, die unter stark benachteiligten Bedingungen aufwachsen, gehen aufs Gymnasium im Vergleich zu 75 Prozent der erstgeborenen Kinder, die keine psychosozialen Härten ertragen müssen.

Beim Übergang aufs Gymnasium fehlt es den benachteiligten Kindern natürlich zusätzlich an materieller Unterstützung. Studiengebühren wirken auf diese Schülergruppen abschreckend. Jedoch hat die größte Benachteilung bereits vorher stattgefunden, in der Zeit in der Kindheit, in der die Kapazität zum Lernen entwickelt wird. Diese Benachteilung kann auch durch den Wegfall von Studiengebühren nicht mehr wettgemacht werden. Für benachteiligte Kinder muss daher die Hilfe bereits in der Familie ansetzen, und über einen längeren Zeitraum, bis zum Schulabschluss, aufrecht erhalten werden. Solche Investitionen, so zeigen Berechnungen des ZEW, erwirtschaften eine hohe Rendite über den Lebenszyklus und für die Gemeinschaft. Vielfach wird ein weiterer Ausbau des öffentlich geförderten lebenslangen Lernens für Erwachsene gefordert. "Diese öffentlichen Mittel können aus ökonomischer Sicht auf lange Sicht eingespart werden, wenn die Fähigkeit für lebenslanges Lernen bereits in der Kindheit und der Schulzeit aufgebaut wird", sagt der Bildungsökonom Pfeiffer.

Das Spektrum der Reformvorschläge zur Verringerung der Ungleichheit der Bildungs- und Erwerbschancen ist breit. Es reicht vom Wegfall von Studiengebühren, über die Öffnung der Universitäten für Meister und Techniker, bis zur Verbesserung der Lehrerfortbildung, die Einführung eines Zentralabiturs oder eine verstärkte Einzelförderung benachteiligter Kinder. Bei all diesen Reformansätzen, so Pfeiffer, dürften die Verantwortlichen aber keinesfalls außer Acht lassen, dass es nicht die Schulen sind, die primär den Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg bestimmen, sondern die rund elf Millionen Familien in Deutschland. Denn innerhalb der Familien differieren die Möglichkeiten und Vorstellungen darüber, wie die Fähigkeiten der Kinder zu entwickeln seien, erheblich. Die Schule tut sich, trotz erreichter Verbesserungen schwer damit, diese Differenzen zu kompensieren.

Das von der Leibnizgemeinschaft im Rahmen des Paktes für Innovation und Forschung geförderte, und vom ZEW koordinierte Netzwerk "Nichtkognitive Fähigkeiten: Erwerb und ökonomische Konsequenzen" erforscht die Ursachen, die bei der Bildung von Fähigkeiten ausschlaggebend sind, die den Erfolg in der Schule und im Erwerbsleben maßgeblich beeinflussen. Die Ausbildung dieser Fähigkeiten beginnt bereits mit der Geburt oder sogar schon im Mutterleib. Frühe Lernerfolge fördern das weitere Lernen. In der Tat werden wichtige Grundlagen der Fähigkeit zum lebenslangen Lernen bereits lange vor Eintritt in den Kindergarten gelegt. Und die Kehrseite dieser Erkenntnis ist, dass frühe Misserfolge beim Lernen weitere Misserfolge fördern. Von ihrem psychosozialen Familienhintergrund her benachteiligte Kinder erfahren schon sehr früh solche Misserfolge, unter anderem durch eine fehlende angemessene emotionale Begleitung in ihrem Wunsch nach Kompetenzbildung, so Pfeiffer.

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PD Dr. Friedhelm Pfeiffer, Telefon: 0621/1235-150, E-Mail: pfeiffer@zew.de