Kommt der Bundeshaushalt 2015 tatsächlich ohne neue Schulden aus? Ein Staat muss seine Schulden niemals tilgen

Nachgefragt

Prof. Dr. Friedrich Heinemann

Bundesfinanzminister Schäuble plant, Deutschlands Neuverschuldungin diesem Jahr auf sieben Milliarden Euro zu drücken. 2015 will er sogar gänzlich ohne neue Schulden auskommen. Wie realistisch diese Szenarien sind und was sie bedeuten, erläutert Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW.

PD Dr. Friedrich Heinemann ist Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW. Darüber hinaus lehrt er Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der empirischen Finanzwissenschaften. Ferner untersucht er Fragestellungen des Fiskalwettbewerbs und Föderalismus in Europa. Neben seinem Engagement in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften ist Heinemann unter anderem Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Europäische Integration e.V. und Mitglied im wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik, Berlin.

Ist der Bundesfinanzminister mit seinem Ziel, im nächsten Jahr ohne Neuverschuldung auszukommen, zu optimistisch?

Nein. Das Umfeld macht es Bund und Ländern gegenwärtig leicht, den Budgetausgleich zu erreichen. Die Gebietskörperschaften schwimmen auf einer Welle weiter steigender Steuereinnahmen und die historischen Niedrigzinsen lassen die Zinsbelastung fallen. Wenn der Budgetausgleich selbst in einem derart günstigen Umfeld nicht gelingen würde, dann wäre das sehr bedenklich.

Deutschlands europäische Partner fordern im Hinblick auf die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse mehr staatliche Wachstumsimpulse. Kommt der Budgetausgleich zum falschen Zeitpunkt?

Dass der Bund im Jahr 2015 endlich eine schwarze Null erreicht, ist wichtig für Deutschland und die Eurozone. In Deutschland entscheidet sich in den nächsten Jahren, ob die neue Schuldenbremse im Grundgesetz glaubwürdig ist. Der Bund ist ab dem Jahr 2016 an diese neue Regel gebunden, die Bundesländer erst ab dem Jahr 2020. Insofern hat der Bund nun eine wichtige Vorbildfunktion, der dann hoffentlich auch die Länder folgen. In Bezug auf Europa gilt eine ähnliche Argumentation. Deutschland hat sich für den Fiskalvertrag mit seiner Vorgabe für nationale Defizitgrenzen stark gemacht. Es wäre eine Blamage, wenn ausgerechnet Deutschland nun seine eigene Regel verletzt. Wachstumspolitisch sind in erster Linie höhere Investitionen gefragt. Dazu sind aber keine Defizite nötig, dazu sind Einsparungen in anderen Bereichen ausreichend. Und die Eurozone benötigt für neues Wachstum vor allem eines: mehr Glaubwürdigkeit, dass Staaten in Zukunft nicht mehr zu Insolvenzfällen werden.

Deutschlands Konjunktur erweist sich derzeit als robust. Trotzdem bestehen im globalen Umfeld viele Risiken. Ist eine Vermeidung von Neuverschuldung auch dann erreichbar, wenn die deutsche Konjunktur schwächelt?

Kommt es, etwa in einem Szenario einer „harten Landung“ der Konjunktur in China, zu einem globalen Konjunkturabschwung, dann wäre Deutschland und damit der Fiskus stark betroffen. Aber selbst wenn die Weltkonjunktur stabil bleibt und die Erholung in der Eurozone voranschreitet, kann man die schwarzen Zahlen in den öffentlichen Haushalten nicht einfach fortschreiben. Die budgetären Lasten aufgrund der Alterung der Bevölkerung werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten umfassende Sparmaßnahmen nötig machen.

Ist die Reduzierung bzw. die Vermeidung der Neuverschuldung die Trendwende, um tatsächlich Schulden abzubauen?

Eine Privatperson muss ihre Schulden in der Regel bis zur Rente oder spätestens bis zum Tod getilgt haben. Darauf achtet jede Bank bei der Kreditvergabe. Ein solches natürliches Ende einer Kreditbeziehung gibt es für den Staat nicht. Im Grunde muss ein Staat seine Schulden niemals tilgen. Solange die Wirtschaft wächst, ist ein konsequenter Verzicht auf neue Schulden ausreichend dafür, dass das Verhältnis von Schulden und Wirtschaftskraft fällt. Wenn die öffentlichen Haushalte in Deutschland die Schuldenbremse dauerhaft einhalten und keine neuen Schulden machen, dann wäre die Trendwende erreicht.

Deutschlands Staatsverschuldung steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Im Moment belaufen sich die Schulden auf über zwei Billionen Euro. Wo liegt die kritische Grenze, ab der ein Staat seine Schuldenlast nicht mehr bedienen kann?

Absolutbeträge wie die genannten zwei Billionen sagen nichts aus. Wichtig ist zunächst das Verhältnis der Schulden zum BIP. Aber auch hier gibt es keine festen Grenzen, weil viele andere Fragen eine Rolle spielen: Wie steht es um die „staatlichen Aktiva“ also etwa die Qualität der Infrastruktur? Welches Wachstumspotenzial hat ein Land? Zu welchen Konditionen ist die Finanzierung möglich? Beim wem finanziert sich der Staat, langfristig oder kurzfristig, im Inland oder im Ausland? Welche Möglichkeiten bestehen noch, die Steuereinnahmen zu steigern? Viele solcher Fragen sind zu beantworten, um die Tragbarkeit der Staatsverschuldung beurteilen zu können. Für Deutschland ergibt sich hier insgesamt ein sehr günstiges Bild, die deutsche Kreditwürdigkeit wird zu Recht von den meisten Ratingagenturen als erstklassig eingestuft. Diese gute Reputation gilt es zu verteidigen.