Hat Kohle als Energieträger eine Zukunft? - "Kohle kann helfen, die Energiewende zu akzeptablen Kosten hinzubekommen"

Nachgefragt

Atomstrom und Kohle – muss sich Deutschland von beidem gleichzeitig verabschieden, um den selbst auferlegten Zielen der CO2-Reduktion gerecht zu werden? Die Gretchenfrage der Energiewende entzweit Politik und Unternehmen. Klimaschützer fordern: „Raus aus der Kohle.“ Dem fossilen Energieträger jedoch kurzfristig den Rücken zu kehren, ist unvorteilhaft, meint ZEW-Umweltökonom Klaus Rennings. Im Gegenteil: Wo Deutschland das Klima nicht alleine retten kann, machen energieeffiziente Kohletechnologien ökonomisch Sinn, um Arbeitsplätze und attraktive Absatzmärkte nicht leichtfertig zu verspielen.

Dr. Klaus Rennings ist kommissarischer Leiter des Forschungs­bereichs „Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement“ und leitet zudem den Forschungsschwerpunkt „Innovation und nachhaltiges Wirtschaften“ am ZEW. Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit innovationsorientierter Umweltpolitik, Konzepten für eine grüne Ökonomie sowie mit Politikfolgenabschätzung.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass der Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden soll. Die aktuelle Debatte darüber konzentriert sich nun darauf, alte Kohlemeiler abzuschalten. Hat Kohle als Energielieferant ausgedient?

Das politische Ziel von 40 Prozent ist zu akzeptieren und lässt sich durch geeignete Instrumente mit Investitions- und Innovationsanreizen für umweltschonende Technologien auch durchsetzen. Über die Wahl der Technologien sollten die Unternehmen möglichst frei entscheiden. Kohlekraftwerke kann man davon nicht grundsätzlich ausschließen. Sie sind immer noch ein wichtiger Pfeiler der Energieversorgung, vor allem auch in stark wachsenden Schwellenländern wie China und Indien. Diese Pfeiler werden den Prognosen nach auch in den nächsten Jahrzehnten weiter tragen. Die Kohleverstromung lässt sich als hocheffiziente Überbrückungstechnologie nutzen, die zeitlich befristet einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

Gemessen am CO2-Ausstoß pro erzeugte Kilowattstunde Strom, gelten Kohlekraftwerke laut Kritikern als ausgesprochene „Dreckschleudern“. Inwiefern kann Kohle dem Klima von Nutzen sein?

Insofern als es darum geht, dass an Stelle von „Dreckschleudern“ möglichst moderne Kraftwerke gebaut werden. Global spielt auch das Kriterium der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit eine wichtige Rolle, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern. Beide Themen werden ja gerade in Deutschland im Zusammenhang mit der Energiewende diskutiert. Viele ärmere Länder werden abwarten, ob Deutschland diese Herausforderungen zufriedenstellend löst, bevor sie sich auf einen ähnlichen Entwicklungspfad begeben. Wir müssen also zuerst unsere Hausaufgaben machen und die Energiewende auch zu einem ökonomischen Erfolg führen. Die durchaus langfristige Verwendung von Kohle ist ökonomisch wie ökologisch rational. Kohlestrom ist günstig in der Produktion. Deutschland hat sich zudem im Markt für energieeffiziente Kohletechnologien, wie etwa den ultra-superkritischen Kraftwerken, in den vergangenen Jahrzehnten einen klaren Innovationsvorsprung erarbeitet, den man nun nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte. Davon können selbst die erneuerbaren Energien lernen.

Sie meinen, die Photovoltaik kann von der Kohle lernen?

Ja, wir haben in den vergangenen Jahrzehnten viele positive Erfahrungen im Umgang mit umwelt- und energieeffizienten Kraftwerks-Technologien gesammelt und profitieren heute davon. Deutschland dominiert zusammen mit Japan den Weltmarkt für Kohlekraftwerks-Komponenten bei High-Tech-Produkten wie zum Beispiel Turbinen. In der internationalen Arbeitsteilung hat sich China dagegen bislang auf arbeitsintensive Komponenten spezialisiert und ist deswegen Marktführer im Bereich Kessel von niedriger und mittlerer Qualität. Die weltweite Arbeitsteilung in der Photovoltaik funktioniert analog. Weil Solarmodule kein High-Tech-Produkt sind, dominiert China den Weltmarkt. Wenn Deutschland eine Wettbewerbschance haben will, kann die Nische nur in der Systemintegration liegen, wo die deutsche Industrie bislang auch stark ist. Als Exportnation sollte sich Deutschland auf seine Stärken konzentrieren.

Was wäre die Konsequenz für die Umweltpolitik?

Wir sprechen von selektiver Industriepolitik. Deutschland sollte sich auf die Wertschöpfungsstufen konzentrieren, bei denen einheimische Anbieter komparative Vorteile haben, wie bei den Turbinen für Kohlekraftwerke eben. Die Politik sollte das akzeptieren und nicht die Produktion von Solarmodulen in Deutschland unterstützen, sondern allenfalls die Systemintegration.

Hängt das Gelingen der Energiewende also davon ab, ob deutsche Kohlekraftwerke ins Ausland exportiert werden?

Das ist zu einfach. Aber die Kohle kann helfen, die Energiewende zu akzeptablen Kosten hinzubekommen. Für diesen Erfolg muss man sich die notwendige Zeit nehmen, um das Energiesystem auch unter Einbezug fossiler Energieträger zu gestalten. Wenn sie dagegen ökonomisch scheitert, droht ein Bumerang-Effekt in Form eines Akzeptanz-Problems.