ZEW Wirtschaftsforum 2008 (27.06.2008) - Erkenntnisreicher Gedankenaustausch über "Klimaschutz und Wettbewerbsfaehigkeit"

Veranstaltungsreihen

Zum diesjährigen ZEW Wirtschaftsforum konnte ZEW-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am ZEW begrüßen. Die Veranstaltung hatte das Thema "Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit" und beschäftigte sich insbesondere mit der Herausforderung, aktiv Klimaschutz zu betreiben, ohne dadurch Wachstum und Beschäftigung in den entwickelten Volkswirtschaften zu gefährden.

Den Auftakt des diesjährigen Wirtschaftsforums bildete eine Podiumsdiskussion, die das Emissionshandelsystem der Europäischen Union (EU) kritisch diskutierte und Perspektiven für die Weiterentwicklung internationaler Klimapolitik nach Kioto aufzeigte. Dr. Andreas Löschel, Leiter des Forschungsbereichs "Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement" am ZEW, beschäftigte sich in seinem Beitrag mit dem Energie- und Klimapaket der EU. Kernstück der Klimapolitik sei das EU-Emissionshandelssystem. Es leiste einen wichtigen Beitrag dazu, im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 die Treibhausgasemissionen in der EU um acht Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern. Diese erste Phase des EU-Emissionshandels sei dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten nach Einigung mit der EU-Kommission im Rahmen eines Nationalen Allokationsplanes eigene Festlegungen träfen über die Menge an Kohlendioxid, die jeder größere Emittent im Zeitraum von 2005 bis 2007 ausstoßen dürfe. Weiterentwicklung des Emissionshandelssystems Zu Beginn des Jahres 2008 hätten sich die EU-Mitgliedsstaaten nun auf ein neues Energie- und Klimapaket geeinigt, mit dessen Hilfe die Treibhausgasemissionen innerhalb der EU bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 vermindert werden sollten, erläuterte Löschel. Um dieses Ziel zu erreichen, werde das Emissionshandelssystem weiterentwickelt. Neu sei die geplante Einführung einer EU-weiten Emissionsobergrenze, so dass es nach dem Jahr 2012 keine Nationalen Allokationspläne mehr geben werde. Statt einer nationalen, hauptsächlich kostenfreien Zuteilung von Emissionsrechten, würden diese künftig zu weiten Teilen versteigert. Während der größte Teil der Emissionsrechte zunächst weiterhin frei zugeteilt werde, sei für die Stromerzeugung schon ab 2013 vorgesehen, Emissionsrechte ausschließlich über das Prinzip der Auktionierung zu vergeben. Die Strategie, die EU-weite Kohlendioxid-Obergrenze hauptsächlich auf dem Wege der Versteigerung einzuhalten, bewertete Löschel positiv. Dadurch würde Ungleichbehandlung und somit auch Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Emittenten in den einzelnen Mitgliedsstaaten entfallen. Allerdings könne das geplante Energie- und Klimapaket der EU negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen haben. Als energieintensiv gelten Unternehmen, bei denen über drei Prozent des Produktionswertes im Herstellungsprozess auf Energiekosten entfallen. Hierzu gehören beispielsweise Unternehmen, die Eisen und Stahl sowie Zement, Kalk und Gips herstellten oder auch Unternehmen der Papier-und Zellstoffindustrie. Konkurrenzunternehmen, die außerhalb der EU produzierten, so Löschel, könnten kostengünstiger produzieren, weil geringere Kosten für den Klimaschutz anfielen. Denkbar sei daher auch, dass Unternehmen aus der EU ihren Produktionsstandort in Länder verlegten, die nicht am Emissionshandel beteiligt seien. Beide Szenarien könnten sich negativ auf die Beschäftigungssituation in der EU auswirken und dem Ziel des globalen Klimaschutzes entgegenstehen. Als mögliche Lösungen dieses als "carbon leakage" bezeichneten Problems werden die freie Zuteilung von Zertifikaten, die Einbeziehung von Importeuren in den Emissionshandel und Importzölle auf den Kohlenstoffanteil von Produkten aus Ländern ohne Emissionsreduktionsziele diskutiert. Energieintensive Industrien Richard Baron von der Internationalen Energieagentur in Paris knüpfte mit seinem Referat an die Problematik der verzerrten Wettbewerbsbedingungen insbesondere zwischen den energieintensiv produzierenden Industrien innerhalb und außerhalb der EU an. Als Mittel, um den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen zu reduzieren, sei das Emissionshandelssystem der EU weltweit beispiellos. Dennoch dürfe nicht übersehen werden, dass energieintensive Industrien mit zusätzlichen Kosten für den Erwerb von Emissionsrechten wie auch mit zusätzlichen Kosten durch gestiegene Strompreise belastet würden. Dies gelte beispielsweise für die stromintensive Aluminiumindustrie, die die gestiegenen Stromkosten nicht auf die Nachfrageseite überwälzen könne, da die Preise für Aluminium im globalen Wettbewerb an der Londoner Metallbörse gebildet würden. Zwar seien aktuell in den meisten EU-Ländern keine exorbitanten Strompreiserhöhungen in der Aluminiumindustrie zu verzeichnen, dies liege aber einzig daran, dass Hüttenwerke meist mit Langzeitverträgen ihre Stromlieferungen festlegten. Diese würden aber auf absehbare Zeit auslaufen, weshalb steigende Strompreise mittelfristig realistisch seien. Modellbetrachtungen legten zwar den Schluss nahe, dass "carbon leakage" nicht zu einer bedeutsamen Zunahme des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen führen werde, dennoch handle es sich um ein hochpolitisches Problem, das die Industrieländer nicht alleine lösen könnten. Gerade energieintensive Industrien seien in den vergangenen 25 Jahren vor allem in Industrie- und Schwellenländern und hier vor allem in China stark gewachsen. Es müsse daher angestrebt werden, den Emissionshandel auch auf diese Länder auszudehnen. Harvard Klimaprojekt Den Weg von der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro über das Kioto-Protokoll zur so genannten Bali Road Map, auf deren Grundlage ein neues Klimaschutzabkommen nach dem Auslaufen des Kioto-Protokolls im Jahr 2012 erarbeitet wird, skizzierte Joseph E. Aldy, Ph.D., von Resources for the Future (RFF). Aldy, stellvertretender Projektleiter des "Harvard Project on International Climate Agreements", einem interdisziplinären Projekt der Universität Harvard zur wissenschaftlichen Evaluierung und Politikberatung zur Fortführung internationaler Klimavereinbarungen, arbeitete die Stärken und Schwächen des Kioto-Protokolls heraus. Als Stärke identifizierte er insbesondere das Instrument des Emissionshandels als marktbasierten Ansatz. In der Vergangenheit sei es darüber hinaus "fair" gewesen, nur die Industriestaaten in den Emissionshandel einzubeziehen, da sie im Rückblick die bislang größten Emittenten von Treibhausgasen gewesen seien. Eine zentrale Schwäche sei dagegen, dass die USA, größter Emittent von Treibhausgasen unter den Industriestaaten, das Protokoll nicht ratifiziert hätten. Da viele Entwicklungs- und Schwellenländer die Industriestaaten mittlerweile beim Ausstoß von Kohlendioxid überholt hätten, müsse aktiver Klimaschutz verstärkt zur Bedingung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit gemacht werden. Das EU-Emissionsregime könne dabei Pate für ein globales Emissionshandelssystem stehen, das die Entwicklungs- und Schwellenländer mit einbeziehe. Wissenschaft für die Praxis Den zweiten Teil des ZEW Wirtschaftsforums am Nachmittag eröffneten drei Kurzvorträge von ZEW Wissenschaftlern, in denen Ergebnisse aus aktuellen Forschungsprojekten vorgestellt wurden. Dr. Holger Bonin, Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung", stellte in seinem Vortrag die Frage: "Ein Grundeinkommen für alle?" Dr. Peter Westerheide, Senior Researcher des Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement", stellte eine Studie zur "Finanzierung von Familienunternehmen" vor. Abschließend referierte Dr. Georg Licht, Leiter des Forschungsbereichs "Industrieökonomik und Internationale Unternehmensführung", über die "Risikokapitalfinanzierung bei jungen Biotechnologieunternehmen". Sichere, saubere und bezahlbare Energie Den Abschluss des diesjährigen ZEW Wirtschaftsforums bildeten kurze Vorträge über die unterschiedlichen Konzepte zur Ausgestaltung der Klimaschutzpolitik in Deutschland sowie eine anschließende Diskussion. Jochen Homann, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sprach zum Thema "Energie, Klimapolitik und Wettbewerbsfähigkeit". Er stellte fest, dass es die Aufgabe der Politik sei, die Balance zu halten zwischen umweltverträglicher Energiegewinnung, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Energie müsse sicher, bezahlbar und sauber sein. Für Deutschland werde die Einlösung dieses Anspruchs einerseits durch die hohe Importabhängigkeit von Öl, Kohle und Gas bedroht. Andererseits gefährdeten aber auch interne Probleme, wie insbesondere der Atomausstieg, diese Balance. Das Ende des Atomstroms sei der falsche Weg, um Deutschland langfristig unabhängig von den exorbitanten Ölpreisen zu machen, so Homann. Der Ölpreis, der mittlerweile die Marke von 140 US-Dollar pro Barrel überschritten habe, belaste zunehmend die Konjunktur aber auch die Bürger. Die aktuell diskutierten Sozialtarife für die Energieversorgung bedürftiger Verbraucher seien allerdings die falsche Antwort. Vertretbare Strom und Energiekosten seien stattdessen für alle Verbraucher notwendig. Ein richtiger Schritt hierzu sei ein verstärkter Wettbewerb durch neue Anbieter im Strommarkt. Maßgeblich sei die Entwicklung des Strompreises von der Ausgestaltung des neuen EU Energie- und Klimapakets abhängig. Angesichts der Bestrebungen, den Handel mit Emissionsrechten auch auf weite Teile des produzierenden Gewerbes auszudehnen, sei zweifelhaft, ob das Paket insgesamt die Balance zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit halten könne. Um die Industrie nicht noch zusätzlich zu belasten, sei es auch in der zweiten Phase des EU-Emissionshandelssystems erforderlich, Emissionsrechte weiterhin kostenfrei an die Unternehmen auszugeben. Einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen durch den Klimaschutz müsse unbedingt entgegen gewirkt werden. Klimaschutz – zu viele Einzelmaßnahmen? Der Präsident des Umweltbundesamtes, Prof. Dr. Andreas Troge, referierte über "Klimaschutz – Integration von Umwelt- und Wirtschaftspolitik". In seinem Beitrag sprach er sich für einen umfassenderen Ansatz in der Klimapolitik aus. Er konstatierte, dass es viele Einzelmaßnahmen gebe, die im Namen des Klimaschutzes lanciert würden, wie beispielsweise die energetische Gebäudesanierung oder das aktuell diskutierte Glühbirnenverbot der EU. Dabei werde jedoch häufig das Gesamtziel aus den Augen verloren. Gleichzeitig sei die Denkweise in Bezug auf den Klimaschutz stark Vergangenheitsorientiert. Anstatt zu überlegen, was bestimmte Maßnahmen für die Zukunft bedeuten könnten, arbeite man heute die Versäumnisse der Vergangenheit auf. Dies zeige sich beispielsweise bei der energetischen Gebäudesanierung. So seien viele der Gebäude, die heute energetisch saniert würden, in den 1980er Jahren gebaut worden, als es eine entsprechende Wärmeverordnung bereits gab. Deutschland stehe, so Troge, international unter Beobachtung, ob und mit welchen Mitteln es das Land schaffe, effektiven Klimaschutz zu betreiben ohne dabei seinen Wohlstand zu verlieren. Deutschland habe die Chance, bei der Entwicklung und Umsetzung "sauberer Umwelttechnologien" eine Vorreiterrolle zu übernehmen und somit gerade durch einen effektiven Klimaschutz international konkurrenzfähig zu bleiben. So könnte Deutschland auch beispielgebend für die energiehungrigen Schwellenländer sein. Fehlende Weichenstellungen der Politik Dr. h. c. Eggert Voscherau, Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie e.V., sprach zum Thema "Klimapolitik aus Sicht der deutschen Industrie". Dabei stellte er heraus, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland bislang der größte Profiteur der Globalisierung gewesen sei. Hierzulande sei man allerdings auf dem Weg, den erreichten Wohlstand zu verspielen. Dafür sei in erster Linie die Politik verantwortlich. Sie lasse oftmals eine klare Weichenstellung vermissen und stelle wichtige Infrastrukturen, gerade im Energiebereich, in Frage. So sei beispielsweise nicht eindeutig von der Politik geklärt, ob es nun einen Atomausstieg geben werde oder nicht. Diese Planungsunsicherheit, die auch in anderen Infrastrukturfragen bestünde, könne Unternehmen durchaus veranlassen, dem Standort Deutschland den Rücken zu kehren. Mit ihrer Scheu, eindeutig Position zu beziehen, begünstige die Politik eine schleichende Deindustrialisierung Deutschlands. Aber auch große Teile der Bevölkerung seien nicht bereit, die Kosten des Wohlstands mitzutragen. Dies zeige sich beispielsweise bei Protesten gegen geplante Kohlekraftwerke. Die Industrie habe aber nicht die Zeit, den Ausgang jahrelanger Prozesse für notwendige Infrastrukturmaßnahmen – als Beispiel nannte Voscherau die Elbvertiefung – zu abzuwarten oder politische Großwetterlagen auszusitzen, denn die globale Wirtschaft agiere in "Echtzeit". Die Politik unterschätze den globalen Wettbewerb deutlich. Um den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten, müsse sie sich wieder auf ihre Aufgabe besinnen, förderliche Rahmenbedingungen zu setzen. Kathrin Böhmer, boehmer@zew.de Weitere Informationen finden Sie auf der Veranstaltungsseite. Bilder des ZEW Wirtschaftsforums 2008 am 27. Juni 2008