Ist Chinas Immobilienmarkt ein Risiko für die Weltwirtschaft? - "Chinas Wohnungsmarkt leidet an massiven Überkapazitäten"

Nachgefragt

Das steile Wachstum der chinesischen Wirtschaft seit den 1980er Jahren hat auch den Immobilienmarkt im Reich der Mitte befeuert. Die Preise für Häuser und Wohnungen sind in einigen Großstädten Chinas in den vergangenen zehn Jahren jährlich mit zweistelligen Wachstumsraten gestiegen – bis jetzt. Momentan kühlt sich der Markt zusehends ab; die Preise fallen zum Teil ähnlich rapide wie vor Beginn der Hypothekenkrise in den USA im Frühjahr 2007. Droht Chinas Immobilienblase zu platzen und damit die noch immer fragile Weltwirtschaft zu gefährden? ZEW-Ökonom Oliver Lerbs sieht Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zur damaligen Situation in den Vereinigten Staaten.

Die chinesische Staatsspitze hat jahrelang die Urbanisierung vorangetrieben, damit den Binnenkonsum und auch das Wirtschaftswachstum beflügelt. Trägt die Immobilien- und Baubranche die ihr zugedachte Rolle für Chinas Volkswirtschaft?

Die Immobilien- und Baubranche ist in den vergangenen Jahren in der Tat eine entscheidende Stütze des chinesischen Wachstums gewesen. Aktuell machen Bruttoinvestitionen im Wohnimmobilienbereich etwa 15 Prozent der Wertschöpfung aus. Ein derart hoher Wert ist auch für ein Schwellenland bedenklich, zumal sich lokale Gebietskörperschaften stark über Baulandverkäufe finanzieren und kaum noch über Steuern oder Gebühren. Zwar sind Immobilieninvestitionen nicht per se weniger produktiv als Investitionen in Maschinen oder Patententwicklung, denn: auch dadurch erhöht sich das Produktionspotenzial, nur eben in Form von Wohndienstleistungen. Allerdings ist fraglich, ob weitere Zusatzinvestitionen in diesem Sektor in China langfristig einen adäquaten Realzins erwirtschaften werden. Der Leerstand ist bereits heute an vielen Standorten immens, eine Fehlallokation von Kapital erkennbar.

Zuletzt hat sich gezeigt, dass Bauflächen und Wohnraum in den Metropolen immer knapper und teurer wurden. Zugleich bleiben aber ganze neu gebaute Trabantenstädte leer. Wie passt das zusammen?

Chinas Wohnungsmarkt leidet an massiven Überkapazitäten. Der Markt ist wegen hoher Transaktionskosten und der besonderen Bedeutung der Lage stark fragmentiert. Einige Siedlungen weisen noch nicht die nötigen Infrastrukturen auf, die für gutes Wohnen erforderlich sind. Leerstand bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die entsprechenden Wohnungen auch wirklich am Markt angeboten werden und die Preise drücken. Viele Chinesen haben Zweitwohnungen als Kapitalanlage gekauft und lassen diese in der Hoffnung auf baldigen Weiterverkauf leer stehen. Das hängt auch mit dem institutionell sehr schwach entwickelten Mietwohnungsmarkt zusammen. Über die genaue Höhe des Leerstands existieren leider nur Schätzungen.

Die Preisentwicklungen bei Wohnimmobilien aktuell in China und seinerzeit in den USA kurz vor der Subprime-Krise scheinen die gleiche Richtung einzuschlagen. Stehen die Chinesen vor einem ähnlichen Einbruch wie die Nordamerikaner?

Haus- und Wohnungskäufer neigen leider dazu, ihre Erfahrungen vergangener Zuwächse in die Zukunft fortzuschreiben. Beim derzeitigen Überangebot an Wohnungen ist aber kaum davon auszugehen, dass Chinas Immobilienpreise so weiterwachsen wie bisher. Eine Depression am Immobilienmarkt wie in den USA hätte extrem negative Auswirkungen auf Privatkonsum und Binnenkonjunktur in China. Allerdings wurden Immobilienkäufe mit deutlich weniger Fremdkapital gehebelt als in den USA. Die Kreditforderungen sind zudem im stark regulierten Bankensektor verblieben. Schließlich haben wir es mit zwei unterschiedlichen Wirtschaftssystemen zu tun: Wahrscheinlich würde die chinesische Zentralregierung bereits früher und entschiedener als sogenannter "Lender of last resort" – also als letzter Kreditgeber – eingreifen. Nichtsdestotrotz wissen wir beispielsweise aus Japan, dass eine geplatzte Immobilienblase ein Land auch bei massiven Staatseingriffen im Bankensektor über Jahre hinweg lähmen kann.

Wie sehen auf Jahressicht die Erwartungen mit Blick auf Chinas Immobilienmarkt, die dortige Volkswirtschaft und letztlich für die Weltwirtschaft insgesamt aus?

Gegenwärtig sind die Erwartungen laut unserem China Economic Panel (CEP) für die Immobilienpreise in wichtigen chinesischen Regionen überraschend positiv, der Wachstumstrend der Gesamtwirtschaft weist allerdings nach unten. Wenn die derzeit politisch verabreichte Schmerztherapie am Immobilienmarkt nachlässt, werden die konjunkturellen Erwartungen weiter gedämpft, zumal China seine Produktion von Zement und Stahl enorm ausgeweitet hat. Viele Arbeitsplätze hängen daran und damit auch die Nachfrage nach Gütern aus anderen Ländern. Eine dauerhafte Immobilien-Misere in China hätte deshalb auch negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

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