Augenblick, verweile doch, Du bist so schön

Standpunkt

Im letzen Jahr hat der Vergleich zwischen der Geldpolitik der EZB und der vom Teufel erfundenen Papiergeldvermehrung im Faust II für Aufsehen gesorgt. Zur Stimmung der letzten Monate in der Eurozone passt ein anderes Zitat aus Goethes Tragödie: "Zum Augenblicke dürft ich sagen, verweile doch, Du bist so schön." Die Krise sei beendet, haben führende Vertreter der europäischen Institutionen verkündet. Es scheint, als hätte die so hart kritisierte Ankündigung der EZB, notfalls unbegrenzt Anleihen der Krisenstaaten in der Eurozone aufzukaufen, eine Wende zum besseren eingeleitet. Was ist davon zu halten?

Es gibt in der Tat Anzeichen der Beruhigung. Erstens sind die Zinsen auf Anleihen der Krisenstaaten deutlich gesunken. Zweitens sind die Aktienkurse weltweit gestiegen. Drittens hat sich der Kurs des Euro gegenüber anderen Währungen deutlich erholt. Das politische Patt in Italien hat zwar für Verunsicherung gesorgt. Die spontane Reaktion der Kapitalmärkte war aber vergleichsweise moderat. All dies belegt, dass Investoren wieder bereit sind, sich in der Eurozone zu engagieren. Unklar ist allerdings, ob das auch Signale für eine realwirtschaftliche Erholung sind. Der Hauptgrund für die Beruhigung der Finanzmärkte ist ein anderer. Die EZB hat mit ihrem Aufkaufprogramm signalisiert, dass nicht private Investoren für Zahlungsausfälle haften werden, sondern die Steuerzahler. Da ist es verständlich, dass die Finanzmärkte jubeln.

Weniger nachvollziehbar ist, dass Teile der europäischen Politik in den Jubel einstimmen. Dafür ist es entschieden zu früh. Zwar sind die Leistungsbilanzdefizite und die staatlichen Budgetdefizite in den Krisenstaaten geschrumpft. Gleichzeitig gibt es jedoch auch negative Signale. Aktuell entwickeln Wachstum und Beschäftigung sich so schlecht wie zu keinem Zeitpunkt seit dem Ausbruch der Krise. Die Wirtschaft der Eurozone schrumpft und die Arbeitslosenquote liegt bei mehr als 11 Prozent, in Spanien sogar bei deutlich über 25 Prozent. Tendenz steigend. Reformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind zu zaghaft und bleiben teils stecken.

Um die Rezession in der Eurozone zu beenden, sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Zum einen muss die Bevölkerung sich auf Belastungen aus der Sanierung der Staatsfinanzen einstellen. Die Wahlen in Italien haben gezeigt, dass die Bereitschaft dazu begrenzt ist. Viel spricht dafür, dass in einigen Staaten ein Schuldenschnitt hinzukommen muss. Zumindest in Griechenland ist das unausweichlich, Portugal und Spanien könnten dazukommen. Diese Schuldenschnitte werden die Steuerzahler in Deutschland und anderen Gläubigerländern belasten.

Zum anderen müssen die Probleme der Banken gelöst werden. Die Eurozone hat sich zwar auf die Schaffung einer Bankenunion geeinigt. Aber diese Bankenunion funktioniert nicht, bevor die in den Bankbilanzen versteckten Verluste aus faulen Krediten, die so genannten Altlasten, offengelegt sind. Man muss sich darüber einigen, wer diese Lasten trägt. Dazu kommt es derzeit nicht. Die Krisenstaaten hoffen, diese Verluste mit der Errichtung der Bankenunion teilweise auf die Länder im Norden der Währungsunion abzuwälzen. Die Länder im Norden sträuben sich deshalb gegen eine gemeinsame Haftung. Das Ziel, die gegenseitige Anhängigkeit zwischen Mitgliedstaaten und ihren Banken zu durchbrechen, wird verfehlt. Wegen der EZB-Garantie haben die Krisenstaaten wieder Zugang zu billigen Krediten, daher kann man die Sanierung der Banken und die Schaffung der Bankenunion aufschieben. Damit wird aber auch die wirtschaftliche Erholung der Eurozone verzögert.

Die EZB hat die Märkte beruhigt, aber damit auch den Druck auf die Politik in Europa beseitigt, Reformen voranzutreiben. In Goethes Tragödie beruht Fausts Freude über den "schönen Augenblick" auf einem Irrtum. Faust ist erblindet und glaubt zu hören, eine Menschenmenge huldige ihm wegen seiner Taten. In Wahrheit hört er, wie sein Grab geschaufelt wird. Die Politik in Europa ist glücklicherweise nicht blind. Sie sollte die Reformen in der Eurozone entschlossen vorantreiben, bevor die Krise mit Macht zurückkehrt.