ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Arbeitskampf von Lokführer-Gewerkschaft und der Deutschen Bahn AG"

Standpunkt

Der Arbeitskampf zwischen der Deutschen Bahn AG und der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) wirft eine Reihe von Fragen auf. Es geht zum einen um den Konflikt zwischen den Prinzipien Tarifeinheit versus Tarifpluralismus und zum anderen um die durch Urteile des Bundesarbeitsgerichts unterstützte bedenkliche Tendenz zu einer höheren Streikbereitschaft. Gegenstand der Auseinandersetzungen ist neben dem Umfang der Tariflohnerhöhungen die Forderung der GDL nach einem eigenen Tarifvertrag. Die beiden konkurrierenden Gewerkschaften haben bereits mit der Deutschen Bahn einen gemeinsamen Tarifvertrag abgeschlossen, dem sich die GDL indes nicht anschließen will. Die Deutsche Bahn hingegen lehnt dies kategorisch ab, hat jedoch gegenüber der GDL Kompromissbereitschaft in der Entgeltfrage deutlich und konkret zum Ausdruck gebracht.

Zur Rede steht das Prinzip der Tarifeinheit, dass es also nur einen Tarifvertrag für ein und dasselbe Unternehmen gibt. Das Tarifvertragsgesetz sieht einen solchen Grundsatz nicht vor, wohl aber wurde er vom Bundesarbeitsgericht proklamiert, stellt mithin Richterrecht dar. Allerdings sind von juristischer Seite erhebliche Einwendungen gegen den Grundsatz einer Tarifeinheit erhoben worden, weil er das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz verletze.Das Grundgesetz garantiere keine Verhandlungsmonopole von Gewerkschaften, sondern gewährleiste die Gründung und Betätigung eigener gewerkschaftlicher Zusammenschlüsse, sofern diese tariffähig sind. Dies sei bei einem Organisationsgrad von rund 75 v.H. bei der GDL gegeben. Aus ökonomischer Sicht spricht jedoch vieles für das Prinzip eines Tarifvertrags für das gesamte Unternehmen. Das lehren die Erfahrungen anderer Länder, wo sich die Unternehmen nahezu permanent in Tarifverhandlungen mit irgendeiner Gewerkschaft befanden. Abgesehen davon, dass damit die erforderliche Verlässlichkeit einer Kostenkalkulation für künftige Aufträge weiter eingeschränkt wird, kann eine kleine Gewerkschaft, deren Angehörige Schlüsselpositionen im Unternehmen innehaben, recht schnell unter der Androhung, den Betriebsablauf lahmzulegen, der Unternehmensleitung Sondervorteile abnötigen. Denn ein Wettbewerb zwischen konkurrierenden Gewerkschaften führt eben nicht, wie auf anderen Märkten, zu effizienteren Resultaten, sondern eher dazu, dass sich die Arbeitnehmervertretungen gegenseitig in Forderungen und gegebenenfalls Arbeitskampfmaßnahmen überbieten, um für Mitglieder attraktiv zu sein. Um den ökonomischen Vorteil einer Tarifeinheit mit der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit gleichwohl in Einklang zu bringen, muss über weitere Konfliktlösungsmittel nachgedacht werden. Dazu könnte eine möglichst freiwillig von den Tarifvertragsparteien zu vereinbarende, unabdingbare Schlichtungsregelung gehören. Des Weiteren könnte die in den Vereinigten Staaten bestehende Möglichkeit einer Abkühlungsphase, die der dortige Präsident für maximal 80 Tage verordnen kann (Taft-Hartley-Gesetz), ins Blickfeld genommen werden. Solchen Bestrebungen, die Hemmschwelle für Streiks als dem letzten Mittel im Arbeitskampf ("Ultima-Ratio-Prinzip") anzuheben, laufen allerdings jüngere Urteile des Bundesarbeitsgerichts diametral entgegen. Im Juni dieses Jahres erklärte es die Zulässigkeit von "Sympathiestreiks", sofern sie verhältnismäßig seien. Bei einem Sympathiestreik streiken die Arbeitnehmer nicht für einen eigenen Tarifvertrag, sondern bringen ihre "Solidarität" für einen anderen Arbeitskampf zum Ausdruck. Der bestreikte Arbeitgeber hat keine Möglichkeit, den Streik mit Hilfe von Zugeständnissen abzuwenden; er ist praktisch einer wirtschaftlichen Geiselnahme ausgeliefert. Bereits wenige Wochen vorher hatte das Bundesarbeitsgericht Arbeitskämpfe um Sozialplanmaßnahmen gegen betriebliche Umstrukturierungen selbst bei Gültigkeit eines Flächentarifvertrags für zulässig erklärt. Schon wird bei Juristen die bange Frage gestellt, ob nicht vielleicht auch noch politische Streiks demnächst rechtens werden.