ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur Reform des Stabilitätspakts

Kommentar

„Wirksame EU-Schuldenregeln schützen die geldpolitische Unabhängigkeit der EZB“

Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW Mannheim, im Kommentar über eine mögliche Reform des Stabilitätspakts.

Die Europäische Kommission hat mit einem ersten Diskussionspapier die Diskussion über eine mögliche Reform des Stabilitätspakts eröffnet. Angesichts des pandemieverursachten starken Anstiegs der Schuldenquoten und des hohen Investitionsbedarfs im Bereich Klimapolitik und Digitalisierung seien die bisherigen Schuldenregeln zu überprüfen. Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW Mannheim, erklärt dazu:

„Es erscheint sehr verlockend, den EU-Staaten durch eine Reform des Stabilitätspakts für die Corona-Schulden einen Persilschein auszustellen und nicht auf eine zügige Verringerung hoher Schuldenstände nach der Pandemie zu beharren. Auch ist es richtig, dass Staatsschulden oberhalb der bisher erlaubten Obergrenze von 60-Prozent des BIP bei niedrigen Zinsen sehr wohl tragbar sein können. Gleichwohl verkennen die Rufe nach einer weitgehenden Lockerung der europäischen Schuldenregeln drei Tatsachen: Erstens sind die meisten EU-Staaten neben hohen offenen Schulden mit noch höheren versteckten Verbindlichkeiten konfrontiert, die sich aus ungedeckten Leistungsversprechen in den Renten- und Gesundheitssystemen bei einer stark alternden Bevölkerung ergeben. Zweitens ist die Wachstumsrate von besonders hoch verschuldeten EU-Ländern wie Italien seit langem sehr niedrig, so dass sich trotz niedriger Zinsen ein Schuldentragfähigkeitsproblem ergeben kann. Und drittens hängt die Finanzierbarkeit des hohen Finanzbedarfs etlicher Euro-Staaten inzwischen stark von der Bereitschaft der EZB ab, ihre Nullzinspolitik weiterzuführen und massiv Staatsanleihen aufzukaufen.

Vor diesem Hintergrund sind wirksame europäische Schuldengrenzen schon alleine deshalb unverzichtbar, um die EZB in ihrer geldpolitischen Unabhängigkeit zu schützen. Dennoch ist die Reformdiskussion zum Stabilitätspakt berechtigt: Das Regelwerk krankt bisher an einer zu hohen Komplexität und auch daran, dass es keinen unparteiischen Wächter gibt. Die Europäische Kommission hat den Pakt schon vor der Pandemie nur halbherzig angewendet und bei dessen Auslegung mehr auf Wahlkämpfe in den Mitgliedstaaten geschielt als auf finanzwirtschaftliche Risiken. Hier wäre zu überlegen, welche unabhängige Institution in Zukunft besser in der Lage wäre, die Schuldenregeln je nach konjunktureller Situation verantwortungsvoll auszulegen. Mit mehr Unabhängigkeit bei der Überwachung wäre auch der Weg zu einfacheren Regeln frei.“