Akademikerschwemme in Deutschland? Deutlicher Geburtenrückgang erfordert eine Erhöhung des Anteils an Akademikern

Nachgefragt

Immer mehr junge Menschen drängt es in die Universitäten. Friedhelm Pfeiffer, Bildungsökonom am ZEW erläutert, ob dies der richtige Weg für Deutschland ist und wie die betriebliche Ausbildung an Attraktivität gewinnen könnte.

PD Dr. Friedhelm Pfeiffer ist Senior Researcher und Ansprechpartner für Bildungsökonomik am ZEW. Er ist Privatdozent an der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim. Seine Forschungsinteressen gelten den Ursachen und ökonomischen Konsequenzen von Bildungsinvestitionen für die individuelle und wirtschaftliche Entwicklung sowie der Evaluation arbeitsmarkt- und bildungspolitischer Maßnahmen. Als Mitglied des Mannheimer Bildungsbeirates berät Friedhelm Pfeiffer die Stadt Mannheim in Bildungsfragen. Zudem ist er Mitglied im Bildungsökonomischen Ausschuss des Vereins für Socialpolitik.

Mittlerweile entscheiden sich über 50 Prozent eines Schuljahrgangs, nach dem Abitur ein Studium aufzunehmen anstatt eine Berufsausbildung anzugehen. Braucht der deutsche Arbeitsmarkt so viele Akademiker?

Derzeit ist die Nachfrage vorhanden. Dank der dynamischen Wirtschaft sind die Beschäftigungschancen und Arbeitsverdienste von jungen Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland sehr gut. Muskelarbeiten sowie einfache bis mittelschwere Routinearbeiten werden zunehmend von intelligenten Maschinen übernommen. Für die Entwicklung dieser Maschinen sind in der Regel Kreativität, gute Programmierkenntnisse sowie eine breite wissenschaftliche Ausbildung von erheblichem Nutzen.

Auch wenn die Quote der Studierenden so hoch wie nie zuvor ist, darf man nicht vergessen, das aufgrund des erheblichen Geburtenrückgangs seit den neunziger Jahren die Zahl der Absolventinnen und Absolventen aus den Hochschulen nur moderat zunimmt. Wichtig ist es, dass der Zugang zum Studium unabhängig vom Geldbeutel der Eltern möglich wird.

Unter Verweis auf die hohen Akademikerquoten im Ausland hat sich die Politik hierzulande in den vergangenen Jahren zum Ziel gesetzt, mehr junge Menschen zur Aufnahme eines Studiums zu bewegen. Ist diese Orientierung am Ausland, wo meist keine betriebliche Ausbildung existiert, der richtige Weg für Deutschland?

Der Blick von außen ist sicher sinnvoll, kann aber nicht das eigenständige Denken und Handeln ersetzen. Deutschland hat ein stark ausgebautes und mit der akademischen und der dualen Berufsausbildung eines der differenziertesten Bildungssysteme der Welt. Bildung und Wirtschaft sind gut bis sehr gut aufeinander ausgerichtet. Das sollte man nicht einseitig ändern. Wichtig ist es, das Bildungssystem insgesamt weiter zu entwickeln.

Aufgrund der stark zurückgehenden Geburtenzahlen und des steigenden Anteils an Wissenschaft in Gütern und Produkten werden zunehmend akademisch gebildete Fachkräfte mit deutschen Sprachkenntnissen benötigt. Da eine Zuwanderung von Akademikerinnen und Akademikern schwieriger als von anderen Berufsgruppen ist, scheint die Politik, mehr junge Menschen zum Studium zu bewegen, auf einem richtigen Weg zu sein. Entscheiden müssen sich jedoch die Jugendlichen selbst.

Die Verschränkung von Theorie und Praxis, die hybride Ausbildung in Schule und Betrieb sind ein Erfolgsmodell, das Deutschland stark gemacht hat. Warum wird die berufliche Ausbildung offenbar von immer weniger Menschen wertgeschätzt?

Die hybride Ausbildung scheint tatsächlich ein Erfolgsmodell, allerdings eines mit Schrammen. Wenngleich noch immer fast 50 Prozent eines Jahrgangs ihre berufliche Ausbildung außerhalb der Hochschulen erhalten, kommt das herkömmliche duale Ausbildungssystem durch die digitale Revolution, die Akademisierung und die Entwicklung der intelligenten Maschinen in Bedrängnis.

Wer programmieren kann, ist überall in der Wirtschaft einsetzbar. Die duale Bildung muss sich daher weiter anstrengen, um angesichts des fortdauernden digitalen Momentums attraktiv zu bleiben. Ein Jugendlicher sucht ja eine berufliche Perspektive für 40 und mehr Jahre, und nicht nur für die nächsten zehn Jahre.  

Insbesondere im Handwerk, aber auch in Industrie- oder Gesundheitsberufen zeichnet sich bereits heute ein Mangel an gut ausgebildeten Facharbeitern ab. Was kann getan werden, um junge Menschen für Ausbildungsberufe in diesen Bereichen zu interessieren?

Die Bildungspolitik sollte überlegen, für entsprechend geeignete Berufsabschlüsse mit Zukunftspotential zugleich einen Bachelor-Abschluss einzuführen. Das wird nicht in allen Berufen gehen, aber doch in besonders anspruchsvollen Berufen, in denen zudem die Nachfrage groß ist, etwa in der Chemie-, Metall- und Elektroindustrie, sowie in der Kredit- und Informationswirtschaft. Die Lehrlinge erwerben dann in der dualen Ausbildung neben dem klassischen Lehrabschluss zugleich einen Bachelor-Abschluss. Für hochwertige Berufsausbildungen scheint das inhaltlich angemessen zu sein. Dies könnte die Attraktivität der beruflichen Bildung befördern.