Wettbewerbsrecht für die digitalisierte Wirtschaft

Standpunkt

ZEW-Präsident Achim Wambach zur GWB-Novelle

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD, vertritt den Standpunkt, dass das Wettbewerbsrecht an die digitale, grenzüberschreitende Wirtschaft angepasst werden muss.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat den Referentenentwurf für das GWB-Digitalisierungsgesetz vorgelegt. An ihm zeigt sich, wie stark die Digitalisierung unsere Form des Wirtschaftens ändert. Ein wichtiger Schritt fehlt aber noch. Die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das „Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft“, ist unterwegs. Nach langen Verzögerungen wurde der Referentenentwurf nun offiziell veröffentlicht, und die Anhörungen der Länder und Verbände haben begonnen. Dies ist bereits die zweite Novelle, die den Anspruch erhebt, die Besonderheiten der digitalisierten Ökonomie im Wettbewerbsrecht abzubilden. Während die 9. GWB-Novelle die Begriffe Daten und Plattformen im GWB verankert hat, zeigt sich im vorliegenden Entwurf, wie massiv diese Konzepte unsere Wirtschaftsform verändert haben und verändern. 

Ein charakterisierendes Merkmal von Plattformen sind die direkten und indirekten Netzwerkeffekte, die sich auf der Plattform bilden: Amazon ist für Käufer von Interesse, da sie viele Händler auf der Plattform finden, und für Händler ist die Plattform attraktiv, weil sie dadurch viele potenzielle Käufer erreichen. Dass diese Netzwerkeffekte zu einer Konzentration führen, ist schon länger bekannt. Mittlerweile zeigt sich, dass in einigen Märkten diese Konzentration auch kaum noch wettbewerblich angreifbar ist. Dass Google, Amazon, Facebook oder Apple (GAFA) in absehbarer Zeit von Wettbewerbern überrollt werden, wie damals Yahoo, erwartet außerhalb der PR-Abteilung dieser Unternehmen keiner mehr. Offensichtlich ist auch der Markt davon überzeugt, dass diese Unternehmen dominant bleiben – die vier GAFA-Unternehmen gehören zu den teuersten Unternehmen weltweit.

Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass das Wettbewerbsrecht bei der wettbewerblichen Einhegung dieser Unternehmen an seine Grenzen stößt. Die Verfahren etwa des Bundeskartellamts gegen Facebook oder der Europäischen Kommission gegen Google zeigen die Stärken und Grenzen der Missbrauchsaufsicht. Missbräuchliches Verhalten obliegt der Kontrolle, und die Wettbewerbsbehörden haben die Möglichkeit, dieses zu sanktionieren und Maßnahmen gegen den Missbrauch, wie etwa die Vermeidung von Diskriminierung bei der Platzierung von Werbung, durchzusetzen. Von dieser Möglichkeit wird vielfältig gebraucht gemacht. Allerdings können diese Verfahren immer nur einzelne Aspekte aufgreifen, und die Verfahrensdauer – zwischen drei und sieben Jahren bei den Behörden und anschließend weitere Jahre vor den Gerichten – spricht nicht dafür, dass damit der Dynamik der Digitalisierung ausreichend Rechnung getragen wird. 

Regulierung von marktbeherrschenden Unternehmen

Es ist daher konsequent, im nächsten Schritt die dominanten Plattformunternehmen weiteren Regeln zu unterwerfen. Die Kommission des britischen Schatzkanzlers schlägt dazu eine eigene Regulierungsbehörde vor. Die in Deutschland eingesetzte Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ empfiehlt Regeln für marktbeherrschende Plattformunternehmen, wie etwa ein Selbstbegünstigungsverbot, die dann von den Wettbewerbsbehörden kontrolliert werden. Der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle geht hier einen Mittelweg.

Das Bundeskartellamt soll zunächst in einem ersten Schritt Unternehmen identifizieren, die eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ haben. In einem zweiten Schritt kann es dann diesen Unternehmen kritische Verhaltensweisen untersagen, wie etwa Wettbewerber zu behindern oder Interoperabilität zu erschweren. Das Kartellamt übernimmt dadurch Regulierungsaufgaben, was nicht unkritisch ist. In jedem Fall problematisch ist, dass dieser Vorschlag eine Reihe von Rechtsfragen aufwirft. So ist etwa unklar, was eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ ausmacht. In der Konsequenz ist zu erwarten ist, dass Anwälte und Gerichte auf Jahre mit der Klärung beschäftigt sein werden. Damit ist der digitalen Wirtschaft nicht gedient.

Neben den dominanten Plattformen ist das zweite neue Phänomen der digitalen Ökonomie die märkteübergreifende Aktivität vieler Unternehmen. Dies wird auch mit dem Begriff des „digitalen Ökosystems“ bezeichnet. Daten spielen dabei eine wesentliche Rolle. Unternehmen nehmen Daten aus einem Markt und verwenden sie in benachbarten Märkten, um den Kunden dadurch besser auf sie zugeschnittene Produkte und Leistungen anzubieten. So ist Google nicht nur eine Suchmaschine, sondern auch in den Bereichen Videostreaming, Online-Werbung, Smartphone-Betriebssysteme, Smart Home und selbstfahrende Autos tätig.

Rechtssicherheit für Kooperationen

Die Entwicklungen bei digitalen Ökosystemen greift der Referentenentwurf an vielen Stellen auf. So sind Daten nicht nur wichtig, sondern können sogar „wesentlich“ sein. Der Referentenentwurf sieht ausdrücklich vor, dass Daten eine „essential facility“, also eine „wesentliche Einrichtung“ darstellen können, so wie etwa die Schienennetze. Der Besitzer dieser Daten muss anderen Unternehmen den Zugang zu dieser Einrichtung gegen eine entsprechende Zahlung einräumen. Ein Marktverschluss durch das Horten von Daten soll dadurch verhindert werden. Wichtig ist auch das Bestreben, mehr Rechtssicherheit herzustellen, wenn Unternehmen zum Zwecke der Datenteilung oder der Gründung einer Plattform kooperieren wollen. Unternehmen sollen zukünftig per Gesetz einen Rechtsanspruch auf eine Auskunft des Bundeskartellamts haben, ob die geplante Zusammenarbeit kartellrechtlich bedenklich ist oder nicht.

Einen wesentlichen Aspekt der digitalen Ökonomie kann aber auch die 10. GWB-Novelle nicht in den Griff bekommen: Digitale Märkte sind meist grenzübergreifend. Und die Bestrebungen der Europäischen Kommission zum Ausbau des digitalen Binnenmarktes werden diese Grenzoffenheit noch verstärken. Die relevante Behörde bei Wettbewerbsfragen wird dadurch die Brüsseler Kommission. Falls Unternehmen Rechtssicherheit benötigen, sollte diese in Brüssel gewährt werden. Und auch die Regeln für dominante Plattformen sollten nicht an der deutschen Grenze halt machen. Die Bundesregierung wäre deshalb gut beraten, ihre EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte zu nutzen, um auch das EU-Recht an die digitalisierte Wirtschaft anzupassen. Die Empfehlungen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 liefern eine gute Grundlage dafür. 

Dieser Beitrag ist in einer gekürzten Fassung am 27. Februar 2020 in der Rheinischen Post erschienen.

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