ZEW Lunch Debate in Brüssel thematisiert Auswirkungen von Migration auf die europäischen Arbeitsmärkte

ZEW-Ökonomin Dr. Katrin Sommerfeld plädiert für mehr Zuwanderung, auch aus Drittstaaten, in die Arbeitsmärkte der EU.

Neben den Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stellen auch die zunehmenden Arbeitskräfteengpässe sowie das Thema Migration die Europäische Union (EU) vor große Herausforderungen. In der Lunch Debate am 18. April 2023 diskutierten Experten/-innen von der Europäischen Kommission, Gewerkschaften, Unternehmen und Wissenschaft mit den rund 140 Teilnehmenden, wie sich Migration auf die europäischen Arbeitsmärkte auswirkt und welche Chancen aber auch Risiken sich ergeben. In einem einleitenden Impulsvortrag konstatierte ZEW-Ökonomin Dr. Katrin Sommerfeld zunehmende Arbeitskräfte-Engpässe und plädierte für mehr Zuwanderung, auch aus Drittstaaten, in die Arbeitsmärkte der EU.

„Seit 2013 verdoppelte sich in etwa die Zahl der offenen Stellen in der EU, während die Arbeitslosigkeit um die Hälfte zurückging. In den meisten Ländern fehlt es an Handwerkern, Pflegekräften, IT-Spezialisten, aber auch an Menschen für niedrigqualifizierte Arbeit im Handel, Sicherheits- oder Nahrungsmittelgewerbe“, stellte Sommerfeld fest. Sie appellierte deshalb an eine Zuwanderung, die nicht nur bestimmte qualifizierte Tätigkeiten, sondern alle Bereiche umfasst, wo Bedarfe von Unternehmen bestehen.

Schließlich würden auch gering qualifizierte Zugewanderte zur Linderung des Arbeitskräftemangels beitragen, indem sie einheimische Beschäftigte unterstützten, die höherqualifizierte Tätigkeiten ausführen. Als Indiz für eine Entlastung nannte Sommerfeld das Beispiel Deutschlands: „Osteuropäische Fachkräfte trugen zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes bei. Sie arbeiten überdurchschnittlich oft in Berufen, in denen Fachkräftemangel herrscht. Allerdings reicht auch dies nicht aus, um die Arbeitskräfte-Engpässe vollständig zu kompensieren.“

Klare Regeln und Bleibeperspektiven

In der anschließenden Diskussion, moderiert von Prof. Dr. Nicolas Ziebarth, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“, sprachen Katrin Sommerfeld, Ben Butters (Vorsitzender der europäischen Industrie- und Handelskammer), Barbara Kauffmann (Direktorin für Beschäftigung an der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Inklusion der Europäischen Kommission) sowie Barbara Surdykowska von der polnischen Gewerkschaft Solidarność.

Alle Teilnehmenden sahen die Migration als eine Chance für die EU-Arbeitsmärkte. Unterschiedliche Meinungen gab es bei der konkreten Umsetzung. Während Kauffmann auf verschiedene Programme der EU hinwies, um Migranten auf den Arbeitsmarkt zu integrieren, betonte Sommerfeld, dass es auch wichtig sei, nach welchen Kriterien Zuwanderung geregelt werde. So sollten Unternehmen selbst über die Arbeitskräfte entscheiden, die sie benötigen, ohne bürokratische Vorgaben in Form von Listen von Berufen mit Arbeitskräfte-Engpässen. Für Butters waren beide Aspekte wichtig; er wünschte sich aber vor allem besser planbare Bleibeperspektiven. Insbesondere kleine Unternehmen planten eher langfristig und Neueinstellungen sind für sie mit hohen Kosten verbunden. Surdykowska verwies auf das Problem des Lohndumpings und forderte von der EU-Seite klare Regeln, um dies zukünftig zu verhindern.

Auf Ziebarths Frage, ob Geflüchtete den Arbeitskräfte-Engpässen entgegenwirken könnten, sagte Kauffmann, dass sie positiv zu den Bruttoinlandsprodukten beitragen würden; man dürfe aber nicht vergessen, dass Menschen kommen, weil sie vor Kriegen und Verfolgung fliehen und nicht, weil sie zu den EU-Arbeitsmärkten passen. Sommerfeld ergänzte das Thema um den Aspekt, dass die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten kurzfristig zusätzliche Beschäftigung für Einheimische vor Ort generiere.

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