Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten - "Der US-amerikanischen Wirtschaft drohen Wachstumseinbußen"

Nachgefragt

Die Vereinigten Staaten haben ihre gesetzlich festgelegte Schuldengrenze um 2,1 Billionen US-Dollar angehoben. Gleichzeitig sollen in den kommenden zehn Jahren 2,4 Billionen US-Dollar eingespart werden. Dr. Marcus Kappler, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Wachstums- und Konjunkturanalysen am ZEW, plädiert für eine Umkehr der US-amerikanischen Fiskalpolitik.

Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen, Maryland (USA) und Berlin promovierte Dr. Marcus Kappler im Jahr 2007 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit dem Jahr 2002 am ZEW beschäftigt, ist Kappler stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Wachstums- und Konjunkturanalysen. Er forscht insbesondere zur Genauigkeit von Konjunkturprognosen, der strukturellen Arbeitslosigkeit und den Einflussfaktoren des Produktionspotenzials.

Die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten wurde in letzter Minute abgewendet. Können die Märkte der amerikanischen Wirtschaft wieder vertrauen?

Der amerikanische Senat hat sich durchgerungen, die in den Haushaltsgesetzen festgelegte Schuldengrenze anzuheben und so ermöglicht, dass die Vereinigten Staaten weitere Staatsschulden aufnehmen können. Verbunden mit dieser Anhebung sind geplante Maßnahmen zur künftigen Haushaltskonsolidierung. Der Plan zum Schuldenabbau wird allerdings von vielen Beobachtern als nicht ausreichend betrachtet. Die Rating-Agentur Standard & Poors hat deshalb die vormals erstklassige Bonitätsbewertung des amerikanischen Staates korrigiert und angekündigt, über die kommenden Jahre weitere Abstufungen  vorzunehmen, sollte beim Schuldenabbau nicht nachgebessert werden. Mit zur Senkung der Bonitätsbewertung beigetragen hat der taktisch motivierte Schuldenstreit im Kongress, der eine Berechenbarkeit der amerikanischen Politik erschwert. Die unmittelbare Reaktion der Märkte hat gezeigt, dass die Unsicherheit über die Zukunft der Weltwirtschaft durch die Neubewertung der Kreditwürdigkeit zunächst zugelegt hat.

Die Vereinigten Staaten haben einen Schuldenberg von mehr als 14 Billionen US-Dollar aufgetürmt. Bedroht diese enorme Staatsschuld die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft?

Die Staatsschulden sind so enorm gestiegen, da die US-amerikanische Regierung sehr viel Geld zur Abfederung der Finanz- und Wirtschaftskrise in die Hand genommen hat. Der größte Posten im seit 2009 wirksamen Konjunkturprogramm ARRA sind Steuersenkungen für Einzelpersonen und Ehepaare, um die verfügbaren Einkommen zu erhöhen und damit die Konsumausgaben zu beleben. Mit dem ARRA sind immer noch kurzfristig positive Effekte auf die amerikanische Wirtschaft verbunden. Längerfristig ist der hohe Schuldenstand aber ein Problem und dürfte das Wirtschaftswachstum belasten. Die Kongressbehörde CBO hat ausgerechnet, dass ab dem Jahr 2017 die negativen Auswirkungen der hohen Staatsverschuldung stärker als die stimulierenden Effekte, etwa aufgrund der reduzierten Einkommenssteuersätze, ausfallen werden. Sollte es mittel- bis langfristig zu keinem Umsteuern kommen, drohen der amerikanischen Wirtschaft also Wachstumseinbußen.

Welche Auswirkungen hat das amerikanische Haushaltsdefizit für die Weltwirtschaft und insbesondere für die Eurozone?

Hätte der Senat keinen Kompromiss gefunden, wäre es zu einem teilweisen Zahlungsausfall US-amerikanischer Schuldtitel gekommen und dieser hätte wahrscheinlich gravierende Folgen für die Weltkonjunktur und damit auch für die Eurozone gehabt. US-amerikanische Staatspapiere werden im großen Stil von Anlegern auf der ganzen Welt gehalten. Ein Zahlungsausfall hätte vermutlich eine neue Vertrauenskrise im globalen Bankenwesen ausgelöst. Und vor den realwirtschaftlichen Auswirkungen einer neunen Finanzkrise fürchten sich seit der Erfahrung mit dem Kollaps der Lehman-Bank viele. Mit der Anhebung des Schuldenlimits wurde ein langfristiges Sparprogramm angekündigt, das auch notwendig ist, um den Schuldenstand langfristig zu reduzieren und damit wieder auf ein tragfähiges Niveau zurückzukehren. Es ist ein erster Schritt in Richtung Konsolidierung der Staatsfinanzen. Die Vereinigten Staaten sind an einem Punkt angelangt, an welchem eine Umkehr in der Fiskalpolitik unumgänglich ist.

Auch einige Länder der Eurozone sind hoch verschuldet. Inwiefern kann man die Situation von Griechenland, Portugal, Italien und Spanien mit der der Vereinigten Staaten vergleichen?

Die Vereinigten Staaten waren zumindest in der Vergangenheit anpassungsfähiger an ökonomische Schocks, auch die Korrekturfähigkeit der Gesellschaft war stets ausgeprägter als in vielen anderen Volkswirtschaften. Die Situation ist mit Ländern wie Griechenland kaum zu vergleichen. Griechenland ist de facto zahlungsunfähig und wird nur durch den europäischen Rettungsfond gestützt. Die Kreditwürdigkeit griechischer Staatspapiere wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls bewertet, Portugals Papiere werden von den Agenturen als sehr spekulativ eingeschätzt. Dagegen wurde die Bonität der amerikanischen Schuldscheine lediglich von "beste Qualität" auf "sicher" gesenkt, und dies auch nur von einer der großen Ratingagenturen. Besorgniserregend ist derzeit die Zuspitzung in Italien und Spanien. Risikoaufschläge für Staatspapier dieser Länder sind stark gestiegen. Das Problem im Vergleich zu den kleineren Peripherieländern der Eurozone ist die Größe dieser Länder. Der europäische Rettungsschirm würde einen de facto Zahlungsausfall wie in Griechenland nicht mehr abfedern können.