Zu einem Vortrag über das Thema "Die wirtschaftliche Kraft des Sozialen" konnte ZEW-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz Ende Februar 2007 den Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung begrüßen. Rund 250 Gäste waren der Einladung zu dieser Veranstaltung gefolgt.

Deutschland, konstatierte Franz Müntefering, sehe sich großen Herausforderungen gegenüber: Die Unternehmen stünden durch die Globalisierung in einem harten, weltweiten Wettbewerb. Über vier Millionen erwerbsfähige Menschen hätten hierzulande derzeit keine Arbeit, während gleichzeitig Qualifizierungsdefizite drohten. 22.000 Ingenieure fehlten aktuell. Die demographische Entwicklung bringe die Sozialsysteme in Bedrängnis. Angesichts dieser großen Herausforderungen bedürfe es großer Anstrengungen, um auch in Zukunft in Deutschland Wachstum, Arbeit, Wohlstand und den Fortbestand des Sozialen zu sichern.


Das Potenzial hierzu sei im Land durchaus vorhanden, befindet der Minister, es müsse nur genutzt werden. So zeige eine international vergleichende Standortanalyse, dass Deutschland nach den USA und China der attraktivste Standort weltweit sei. Besonders gelobt würden in der Studie am Standort Deutschland die Infrastruktur, die Attraktivität des Binnenmarkts, die Qualität von Forschung und Entwicklung und die gute Ausbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


Anlass zur Zuversicht, so Müntefering, gäben in Deutschland derzeit auch die mit 2,7 Prozent Wachstum gute wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahr und die günstige Perspektive für das Jahr 2007. Auch am Arbeitsmarkt zeige sich endlich eine Besserung. So habe es im Januar 2007 764.000 Arbeitslose weniger gegeben als ein Jahr zuvor, gleichzeitig aber 428.000 sozialversicherungspflichtige Jobs mehr.
Diesen positiven Trend wolle die Regierung weiter fördern. Deshalb die Unternehmenssteuerreform, deshalb die Senkung der paritätisch finanzierten Lohnnebenkosten unter 40 Prozent, deshalb Investitionen in Infrastruktur und Forschung. Und deshalb eine Industriepolitik, die darauf abziele, die hervorragende Positionierung, Leistungsstärke und das hohe technologische Niveau der deutschen Industrie aufrecht zu erhalten. Denn auch wenn Dienstleistungs- und Wissensbranchen wüchsen, stehe die Industrie nach wie vor im Mittelpunkt. Müntefering: "Deutschland ist weltweit wettbewerbsfähig und das muss so bleiben."


Von größter Bedeutung sind für Müntefering aber auch Investitionen in Bildung, Ausbildung und Qualifizierung. Nur durch das Wissen und Können seiner Menschen, könne sich Deutschland im internationalen Wettbewerb an der Spitze behaupten.


Bei der erfolgreichen Bewältigung der Umbruchsituation in der sich Deutschland befindet, kommt der Arbeitsmarktpolitik für Müntefering zentrale Bedeutung zu. Das vergangene Jahr habe gezeigt, dass die Reduzierung der Arbeitslosigkeit die wirkungsvollste Methode sei, um die Zukunftszuversicht der Menschen zu stärken und die Lage der Steuerkasse und der sozialen Sicherungssysteme konkret zu verbessern. Es müssten daher verstärkt Angebote gemacht werden, die die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitslosen steigerten und ihre Jobchancen im ersten Arbeitsmarkt verbesserten.
Wichtig sei auch, die Position der Frauen, insbesondere von gut ausgebildeten Frauen, am Arbeitsmarkt und im Beruf zu verbessern und ein neues Verständnis dafür zu schaffen, dass ältere Arbeitnehmer noch längst nicht zum alten Eisen gehörten. Durch den Ausbau der Kinderbetreuung und das Elterngeld sowie durch die Initiative 50plus - mit Kombilohn, Entgeltsicherung und besserer Förderung der Weiterbildung solle hier eine Wendung zum Besseren erreicht werden.


Ein weiteres Problem ist für Müntefering das Phänomen der "working poor". Es dürfe nicht sein, dass jemand der Vollzeit arbeitet, davon nicht leben kann. Er befürwortet deshalb, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wo immer erforderlich, für ihre Branche tarifliche Mindestlohnhöhen definieren.
Zum Ende seines Vortrags machte der Minister allerdings auch deutlich, dass der, der das Soziale als wirtschaftliche Kraft erhalten und stärken wolle, sich notwendigen Veränderungen nicht verschließen dürfe, damit der Sozialstaat seine Aufgaben auch morgen noch erfüllen könne. Wandel sei notwendig, um flexibel auf die demographische Entwicklung, Effekte der Globalisierung oder drastische Veränderungen der Umwelt reagieren zu können. Wichtig sei jedoch, bei allen Veränderungen den Menschen im Blick zu behalten. Es dürfe nicht passieren, dass der Markt die Politik oder ganze Gesellschaften kolonialisiere. Wenn die Wirtschaft - wie die Gesellschaft insgesamt – sich bei ihrem Handeln nicht an ethischen Grundsätzen orientiere, werde sie scheitern. Moralisch, aber auch materiell. Müntefering: "Erst wenn wir das Soziale zu einer wirtschaftlichen Kraft machen, sichern wir auch langfristig Prosperität und Beschäftigung."