Zu wenig Einigkeit in Nationalparlamenten für umfassende EU-Reformen

Forschung

Französische und italienische Abgeordnete sind eher bereit, Kompetenzen nach Europa zu verlagern als ihre deutschen Kollegen/-innen.

Parlamentarier in den drei großen Ländern der Eurozone Deutschland, Frankreich und Italien sind uneins über den europäischen Reformkurs. Konsens besteht lediglich im Wunsch nach höheren öffentlichen Investitionen, mehr Rechten für das Europäische Parlament und wachsenden Zuständigkeiten der Europäischen Union für Immigration und Verteidigung. Tief gespalten zeigen sich die populistischen Gruppierungen im Norden und Süden: Während Abgeordnete der deutschen AfD eine starke Skepsis gegen neuen EU-Kompetenzen und Instrumenten für die Eurozone hegen, gehören Lega und Fünf-Sterne-Bewegung in Italien zu den starken Befürwortern von mehr Solidarität in der Eurozone und einer Abschwächung des Stabilitätspakts.

Dies sind zentrale Resultate einer Umfrage unter den Abgeordneten der nationalen Parlamente in Deutschland, Frankreich und Italien, die das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim gemeinsam mit der Universität Mannheim, der École Polytechnique in Paris und der Katholischen Universität Mailand konzipiert hat.

Die Umfrage wurde zwischen September 2018 und Januar 2019 durchgeführt. 328 Parlamentarier aus dem Deutschen Bundestag und den jeweils beiden Parlamentskammern in Frankreich und Italien haben sich daran beteiligt. Abgefragt wurden dabei die Präferenzen auf den folgenden drei Themengebieten: der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten, den Reformen der Europäischen Währungsunion (EWU) und der Entscheidungsprozesse in der EU.

Die Ergebnisse zeigen, dass französische und italienische Abgeordnete insgesamt eher bereit sind, Kompetenzen nach Europa zu verlagern als ihre deutschen Kollegen/-innen. Das betrifft etwa die Energie-, Lohn- und Arbeitsmarktpolitik. Einigkeit zwischen Berlin, Rom und Paris besteht bei der Kompetenzverteilung lediglich darin, dass Europa mehr Zuständigkeit in der Einwanderungs- und Verteidigungspolitik erhalten sollte.

Ausgeprägte Unterschiede bei Reformideen für die Eurozone

Besonders ausgeprägte Unterschiede zwischen Frankreich und Italien auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite zeigen sich bei den Reformideen für die Eurozone. Die Abgeordneten Frankreichs und Italiens sind sehr aufgeschlossen für ein Eurozonenbudget, für einen EU-Finanzminister, für Eurobonds und unterstützen zudem die Europäische Zentralbank (EZB) in ihren Anleihekäufen, während die Bundestagsabgeordneten bei all diesen Themen skeptisch bis ablehnend sind. Nur höhere Investitionen werden in allen Parlamenten begrüßt.

Einigkeit besteht außerdem darin, dem Europäischen Parlament das Recht zur Einbringung europäischer Gesetzesvorschläge zu geben. Bislang steht dieses Initiativrecht einzig der Europäischen Kommission zu.

Aufschlussreich ist der Vergleich der populistischen Parteien in Nord- und Südeuropa. Die deutsche AfD und die italienische Lega ähneln sich mit Blick auf die Ablehnung neuer EU-Politikkompetenzen. Hingegen gibt es einen starken Dissens zwischen AfD auf der einen Seite sowie Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung auf der anderen Seite bei allen Euro-Reformthemen.

Prof.  Dr.  Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ sowie Koautor der Studie, bewertet die Resultate wie folgt: „Die Ergebnisse zeigen, dass der Spielraum für umfassende EU-Reformen sehr begrenzt ist. Es gibt keinen breiten europäischen Konsens über die zukünftige Gestalt der Union. Sehr beunruhigend für die Zukunft des Euro ist, dass es einzig Einigkeit darüber zu geben scheint, mehr Geld auszugeben. Viele Parlamentarier aller drei Länder verdrängen die wirklichen Ursachen der wirtschaftlichen Probleme, die in überregulierten Märkten und fehlenden Strukturreformen begründet sind.“

Für Rückfragen zum Inhalt

Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Telefon 0621/1235-149, E-Mail friedrich.heinemann@zew.de

Allgemeine Dokumente

1. Policy brief Februar 2019 (in englischer Sprache)

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