Ökonomen schlagen Maßnahmen für stärkere Identifizierung der Bürger mit Europa vor

Forschung

Menschen, die sich selbst als Europäer betrachten, sind häufig jung, gut ausgebildet und haben vielfältige Reiseerfahrung und Kontakte mit EU-Ausländern.

Die Politik sollte mehr tun, um die Identifikation der Bürger/innen mit Europa zu fördern. Das könnte durch die Wahl europäischer statt nationaler Parteilisten bei der Europawahl befördert werden. Außerdem sollten EU-Bürgerversammlungen eingesetzt werden, um konkrete politische Fragen mit Entscheidungsvorschlägen zu erörtern. Das Profil Europas im Ausland könnte durch gemeinsame EU-Botschaften und -Konsulate befördert werden. Dies sind zentrale Empfehlungen einer Studie, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, gemeinsam mit dem ifo Institut in München für das Forschungsnetz EconPol Europe erarbeitet hat.

Auch sollte die Politik Gruppen in den Blick nehmen, die wenig Gelegenheit zu grenzüberschreitenden Begegnungen haben und deren Identifikation mit Europa unterdurchschnittlich ist. Wünschenswert sind neue Programme wie ein „Erasmus für Rentner“ oder eine „Europa-Walz“, bei der Berufstätige für einige Monate im europäischen Ausland arbeiten könnten. Bessere und neutrale Informationen über Europa versprechen sich die Autoren von einem europäischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.  

Ausgangspunkt der Analyse ist die Frage, welche Menschen neben der nationalen Identität auch eine europäische Identität verspüren. Überraschend ist das Ergebnis, dass der Anteil mit Bezug zu einer europäischen Identität in den zurückliegenden Krisenjahren sogar noch angestiegen ist und heute für die gesamte EU bei gut 60 Prozent liegt. Allerdings zeigt die Analyse auch starke Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen.

Menschen, die sich selbst als Europäer betrachten, sind häufig jung, gut ausgebildet und haben vielfältige Reiseerfahrung und Kontakte mit EU-Ausländern. Ältere und ärmere Menschen, die wenig über Europa wissen und auf dem Land wohnen, fühlen sich hingegen deutlich seltener als Europäer. Außerdem begünstigt politisches Interesse und die Zufriedenheit mit dem demokratischen System das europäische Denken.

Neue Ideen zur Förderung einer Europäischen Identität

Vor diesem Hintergrund entwickelt die Studie neue Ideen, wie die Identifikation mit Europa gefördert werden kann. „Eine stärkere Identifikation mit Europa führt dazu, dass Menschen besser über europäische Politik informiert sind und rationalere Entscheidungen treffen“, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest. „Existierende Programme wie Erasmus für Studierende erreichen heute oft nur die Menschen, für die europäische Begegnungen ohnehin schon Alltag sind“, kritisiert zum Beispiel Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“.

Die EconPol-Studie schlägt vor, dass ein „Erasmus für Rentner“ insbesondere ärmeren Rentnern/-innen helfen soll, denen bislang die Möglichkeiten dazu fehlen, Aufenthalte in anderen EU-Staaten zu finanzieren. Dabei sollten zum Beispiel geschichtliche oder soziale Projekte besucht und keinesfalls normale touristische Trips finanziert werden. Weiterhin sollte eine „Europäische Walz“ vor allem Menschen in Branchen ohne große Auslandskontakte eine Art von Praktikum in einem anderen EU-Staat ermöglichen.

„Es geht nicht darum, durch solche Maßnahmen die Zustimmung für die EU und ihre Politiken in die Höhe zu treiben, sondern möglichst vielen Menschen in Europa die Chance zu geben, Vorurteile abzubauen und Europa zu erleben. Nur dann sind wirklich ausgewogene Entscheidungen über Europa und die künftige Entwicklung der Union möglich“, so das Fazit von Heinemann.

Für Rückfragen zum Inhalt

Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Telefon 0621/1235-149, E-Mail friedrich.heinemann@zew.de

 

Über Econpol Europe

Das ZEW ist als eines von insgesamt neun Partnereinrichtungen an der Gründung von EconPol Europe beteiligt. Mit EconPol Europe, das als internationales und unabhängiges Netzwerk einige hundert Wissenschaftler/innen miteinander verbindet, wird eine neue Stimme der Wissenschaft in der Diskussion um die künftige Ausgestaltung der Wirtschafts-und Finanzpolitik in der EU etabliert. Unter Federführung des Münchner ifo Instituts wurde am 22. Juni 2017 die Urkunde zur Gründung von EconPol Europe unterzeichnet. Unter dem Dach von EconPol Europe befassen sich Wissenschaftler/innen aus sieben Ländern mit Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen in Europa befassen. Die gebündelte Expertise der Partnereinrichtungen soll genutzt werden, um neue Ideen und Lösungskonzepte in die Debatte über die drängenden Zukunftsfragen der EU einzubringen. Neben ZEW und ifo zählen dazu das Centre for European Policy Studies (CEPS, Brüssel), das Centre d'Études Prospectives et d'Informations Internationales (CEPII, Paris), das Institut für Höhere Studien (IHS, Wien), die Toulouse School of Economics, die University of Oxford (Centre for Business Taxation), die Università di Trento (Department for Economics and Management) sowie das VATT Institute for Economic Research (VATT, Helsinki).