„Nachdem zu Anfang des Jahres 2020 aufgrund der Corona-Pandemie eher ein Rückschritt bei der europäischen Integration mit Grenzschließungen, Lieferstopps und nationalen Alleingängen zu beobachten war, ist die EU in der zweiten Jahreshälfte, in der Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, ein gutes Stück vorangekommen.
Die Einrichtung eines Wiederaufbaufonds war dabei ein wichtiger Schritt für die Krisenbewältigung und das europäische Selbstverständnis als Schicksalsgemeinschaft. Der Fonds soll dazu beitragen, die coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Der Wiederaufbaufonds ist allerdings nicht ohne innere Widersprüche. Er soll der Krisenlinderung dienen, doch ein Großteil der Auszahlungen wird erst in 2022 und später erfolgen, wenn die Krise vorbei ist. Er soll besonders betroffenen Ländern helfen, doch viele Zahlungen fließen in Länder, die nicht stärker als andere betroffen sind. Er soll Strukturmaßnahmen in den Ländern fördern, aber ohne ausreichende Sanktionierung zur Sicherstellung der Maßnahmen. Erst in der Umsetzung wird sich daher zeigen, ob dieser Fonds eine „außergewöhnliche, einmalige Kraftanstrengung“ bleibt, wie die Kanzlerin meint, oder doch wegweisend für die Bewältigung zukünftiger Krisen sein kann.
Die Bundeskanzlerin hat ihr Verhandlungsgeschick und das Gewicht der deutschen Volkswirtschaft erfolgreich eingesetzt, um die Verhandlungen zum Wiederaufbaufonds, zum Mehrjährigen Finanzrahmen, zu einem Europäischen Klimagesetz sowie die internationalen Verhandlungen mit Großbritannien und China zu einem Abschluss zu führen. Das war so nicht zu erwarten gewesen. Der Abschluss des Handelsabkommens mit Großbritannien sowie des Investitionsabkommens mit China zeigen die Attraktivität des Zugangs zum Europäischen Binnenmarkt für Drittstaaten. Es ist zu begrüßen, dass diese Abkommen Regeln im Bereich des Umweltschutzes, zu Sozial- und Arbeitnehmerrechten sowie bei staatlichen Beihilfen beinhalten und so dazu beitragen, dass ein fairer Wettbewerb möglich bleibt.
Daneben wurde in der zweiten Jahreshälfte eine Reihe von weiteren Initiativen gestartet, die sich für den Europäischen Binnenmarkt als wesentlich erweisen werden. So hat die EU-Kommission ihre Vorschläge zu einem Digital Markets Act und Digital Service Act vorgelegt, um die Wettbewerbsregeln der digitalen Ökonomie anzupassen. Gleichzeitig hat sie ein Weißbuch zum Umgang mit Subventionen von Drittstaaten, insbesondere China, vorgelegt, um Verzerrungen des Wettbewerbs in Europa entgegen wirken zu können. Beiden Entwicklungen waren Impulse aus Deutschland und Frankreich vorausgegangen. Bis zur Umsetzung dieser Maßnahmen ist aber noch einiges zu tun: Portugal – Ratspräsident ab 1. Januar – übernehmen Sie.“
Datum
30.12.2020