ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur Bundestagsabstimmung zum EU-Eigenmittelbeschluss

Kommentar

„Die EU wird auch dann noch Schulden machen, wenn die Menschen Corona nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen“

Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, zur EU-Schuldenkrise.

Der Bundestag entscheidet heute abschließend über die deutsche Zustimmung zum EU-Eigenmittelbeschluss. Dieser Beschluss ebnet den Weg zur gemeinsamen EU-Schuldenaufnahme im Volumen von 750 Milliarden Euro zur Finanzierung des europäischen Corona-Wiederaufbauplans. Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Forschungsbereichsleiter und Experte für Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW Mannheim, kommentiert diese Entscheidung folgendermaßen:

„Es ist grundsätzlich richtig, dass der Bundestag den Weg für den europäischen Wiederaufbauplan frei gibt. Einige der hoch verschuldeten Eurostaaten verfügen an den Kapitalmärkten heute nicht mehr über eine ausreichende eigene Bonität, um sich durch nationale Kreditaufnahme noch ausreichend selber helfen zu können. Gleichwohl lässt die bisherige Debatte im Bundestag das notwendige Problembewusstsein vermissen. Die Details des Eigenmittelbeschlusses haben es in sich. Erstens akzeptiert Deutschland aufgrund unnötig hoher Nachschusspflichten in den EU-Haushalt eine de facto unbegrenzte Haftung für alle EU-Corona-Schulden. Zweitens fehlt es dem Eigenmittelbeschluss an verbindlichen Regeln für eine zügige Tilgung, die zu einer raschen Begrenzung der Risiken führen könnte. Drittens ist die über fast vierzig Jahre vorgesehene Verschuldung nach dem erklärten politischen Willen wichtiger EU-Akteure der Einstieg in eine permanente EU-Verschuldung. Der Bundestag hätte in seinem Zustimmungsgesetz deshalb viel mehr Sicherungen einbauen müssen. Politik und Öffentlichkeit in Deutschland waren in der Pandemie offenbar stark abgelenkt. Sie müssen sich jedoch die Tragweite des heutigen Beschlusses bewusst machen. Der Bundestag stimmt heute einer Haftungskonstruktion zu, die er in der Euro-Schuldenkrise niemals akzeptiert hätte. Einmal mehr hat somit eine tiefe Krise zu einer dauerhaften Weichenstellung geführt, die problematisch ist. Die EU schlägt mit diesem Eigenmittelbeschluss den Weg in die Schuldenvergemeinschaftung ein und wird auch dann noch gemeinsam Schulden machen, wenn die Menschen Corona nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen.“