Eine Zinssenkung ist das kleinere Übel

Forschung

ZEW-Kurzexpertise zur geldpolischen Lockerung der EZB

Der EZB-Rat steht vor einer schwierigen Entscheidung mit Blick auf eine erneute geldpolitische Lockerung.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat an den Märkten hohe Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen kann. Die denkbaren Optionen für eine erneute geldpolitische Lockerung sind alle mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Dabei ist eine Zinssenkung das kleinste Übel, von erneuten Anleihekäufen sollte der EZB-Rat unbedingt absehen. Dies sind die zentralen Schlussfolgerungen einer Kurzexpertise, die Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, im Vorfeld der EZB-Entscheidung am Donnerstag vorgelegt hat.

Ausgangspunkt der Kurzexpertise ist die Tatsache, dass der EZB-Rat in den vergangenen Monaten die Märkte auf eine erneute Lockerung der Geldpolitik eingestimmt hat, aber unklar ist, welche Instrumente zum Einsatz kommen sollen. Eine Neuauflage von Staatsanleihekäufen ist der ZEW-Expertise zufolge mit erheblichen Risiken verbunden. Aufgrund der zunehmenden Knappheit müsste die EZB nach Einschätzung des Autors immer stärker in Anleihen der hoch verschuldeten Euro-Staaten investieren. Außerdem würden die Zentralbanken des Eurosystems in Zukunft zu einem Großteil Anleihen mit negativen Renditen erwerben. All dies rücke die EZB immer stärker in Richtung einer problematischen monetären Staatsfinanzierung.

Eine weitere Option sei eine Ausweitung der so genannten „Forward Guidance“, der Ankündigung über die Ausrichtung der Geldpolitik in der Zukunft. Auch diesem Instrument seien immer stärkere Grenzen gesetzt. Wenn die EZB versuche, sich über einen mehrjährigen Zeitraum festzulegen, könne dies die Glaubwürdigkeit und Reputation der Zentralbank schädigen. Auch eine weitere Ausweitung der langfristigen Kreditprogramme für Banken („Targeted longer-term refinancing operations“, TLTROs) sei mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, weil die EZB hier zunehmend Bankenstrukturpolitik zugunsten bonitätsschwacher Banken betreibe, heißt es in der ZEW-Expertise.

Allgemeine Dokumente

Download der Kurzexpertise "Die EZB vor einer erneuten geldpolitischen Lockerung"

„Die EZB befindet sich in einer selbstverschuldeten Zwangslage“

Damit bleibt laut Friedrich Heinemann nur das klassische Instrument einer weiteren Zinssenkung und eine Verschärfung der Negativzinssituation. Auch hier seien die negativen Folgewirkungen allerdings beträchtlich. Immer stärker drohten hier Blasenbildungen bei den Vermögenspreisen. Nicht zuletzt nehme das Ansehen der unabhängigen Zentralbank in der Bevölkerung Nordeuropas zunehmend Schaden, weil die Negativzinspolitik bei den Sparern hochgradig unpopulär sei. Die Folgen noch stärker negativer Zinsen für die Bankenrentabilität ließe sich aber durch ein Staffelzinssystem für Bankeinlagen beim Eurosystem eingrenzen. Dabei würden nur Einlagen oberhalb eines festen Betrages dem Negativzins unterworfen.

„Die EZB befindet sich in einer selbst verschuldeten Zwangslage und muss jetzt liefern. Letztlich ist eine weitere moderate Zinssenkung in dieser Situation das kleinere Übel“, so die Einschätzung von Friedrich Heinemann. Priorität sollte es für die EZB unter ihrer neuen Präsidentin ab November sein, nicht länger überzogene Erwartungen an ihre Steuerungsfähigkeit zu wecken. „Negativzinsen und EZB-Wertpapierkäufe können die tiefer liegenden Hindernisse für einen nachhaltigen Aufschwung der Eurozone nicht beseitigen. Die EZB kann das Politikversagen der Mitgliedstaaten daher nicht kompensieren und sollte dieses Versagen durch eine zu großzügige indirekte Finanzierung von Staatsschulden nicht auch noch begünstigen“, so Heinemanns Fazit.