Baden-Württemberg: Technologische Spitzenstellung braucht breitere Basis

Forschung

Die Innovationsanstrengungen der deutschen Wirtschaft haben sich dank des günstigen weltwirtschaftlichen Umfelds in den letzten Jahren positiv entwickelt. Die FuE-Anstrengungen der Unternehmen haben zugenommen. Die Zahl der deutschen Patentanmeldungen hat sich stark erhöht. Die baden-württembergische Wirtschaft ist eine wesentliche Stütze dieser Aufwärtsentwicklung. Sie nimmt bei Patentanmeldungen und FuE-Intensität den Spitzenplatz in Deutschland ein.

Der Wermutstropfen in dieser Erfolgsbilanz, die das jüngst veröffentlichte Gutachten "Zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands" im Jahr 2000 dokumentiert, ist allerdings die Tatsache, dass neben dieser positiven Entwicklung nach wie vor strukturelle Defizite konstatiert werden müssen. Das unter der Federführung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erstellte Gutachten hält jedenfalls verstärkte Anstrengungen zur Verbreiterung der technologischen Basis für erforderlich, um auch langfristig ein tragfähiges Fundament für die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft in Deutschland und Baden-Württemberg sicherzustellen.

Das in der Studie gezeichnete positive Bild der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands wird in mehrfacher Weise durch den Automobilbau geprägt. Diese Branche hat ihre Bedeutung für das deutsche Innovationssystem in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich ausgebaut. Mehr als ein Viertel der FuE-Ausgaben der Wirtschaft entfallen mittlerweile auf diesen Sektor. Er spielt auch als Impulsgeber für technologische Neuerungen in der Chemie, der Elektronik, der Elektrotechnik sowie der Telekommunikation eine wichtige Rolle. Infolge der starken Präsenz der Automobilindustrie in Baden-Württemberg ist die Wirtschaft dieses Bundeslands eine wesentliche Säule der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.

Vor allem durch die hier ansässigen Betriebe der Automobilbranche und ihrer Zulieferer finden sich in den baden-württembergischen Regionen die höchsten FuE-Intensitäten (Anteil des FuE-Personals an allen Industriebeschäftigten) in Deutschland. In ihnen ist auch ein beachtlicher Teil des gesamten deutschen FuE-Personals beschäftigt. So liegt beispielsweise der Großraum Stuttgart mit einem Anteil von zwölf Prozent am gesamten deutschen FuE-Personal gemeinsam mit München an der Spitze der deutschen Regionen. Auch die Rhein-Neckar-Region weist mit immerhin noch sechs Prozent an allen FuE-Beschäftigten einen Platz in der Spitzengruppe auf.

Diese FuE-Anstrengungen tragen reiche Früchte. So steht Baden-Württemberg, bezogen auf die Erwerbsfähigenzahl, bei den Patentanmeldungen an der Spitze aller deutschen Bundesländer. Mit zirka 1.240 Patentmeldungen je einer Million Erwerbsfähige liegt Baden-Württemberg rund 15 Prozent über dem Wert für Bayern, das den zweiten Platz auf der bundesdeutschen Patent-Hitliste einnimmt. Die Patentaktivitäten verteilen sich auf mehrere Regionen des Landes (Karte 1). Neben Stuttgart sind insbesondere die Regionen Bodensee-Oberschwaben und Ostwürttemberg zu nennen. Der Erfolg der baden-württembergischen Wirtschaft ist vor allem auf die Patentaktivitäten des Automobilbaus sowie des Maschinenbaus zurückzuführen. Während sich die Patentaktivitäten im Automobilbau nahezu ausschließlich auf Stuttgart beschränken, sind vier von fünf baden-württembergischen Regionen unter den "Top-Five" im Maschinenbau zu finden. Wie für Deutschland insgesamt ist auch für Baden-Württemberg die starke Konzentration auf das Innovationssystem "Automobil" mit Risiken verbunden. Gerade diese Branche ist von heftigen zyklischen Entwicklungen geprägt. Eine Verbreiterung der Innovationsanstrengungen ist daher nötig, um neben dem Automobilbau weitere innovative Standbeine zu entwickeln. Hier kann an die durchaus vorhandenen guten Ansätze in den Bereichen Mess- und Regeltechnik, Elektrotechnik und Informationstechnik angeknüpft werden, bei denen Baden-Württemberg hinsichtlich der Patentintensitäten den zweiten Platz hinter Bayern einnimmt.

Deutschland insgesamt ist sehr stark von den Branchen der so genannten hochwertigen Industrie geprägt. Hierbei handelt es sich um Wirtschaftsbereiche, die in anderen Volkswirtschaften entstandene grundlegende technologische Neuerungen kompetent aufgreifen und systematisch verbessert in ökonomische Erfolge umsetzen. Angesichts neuer Wettbewerber auf diesem Gebiet, in dem Deutschland traditionell seine besonderen Stärken hat, ist diese Orientierung des Innovationssystems mit erheblichen Risiken verbunden. Die Umorientierung auf eine mehr und mehr von wissensintensiven Dienstleistungsbranchen geprägte Wirtschaft, wie sie in verschiedenen anderen Ländern schon recht früh zu beobachten war, hat in Deutschland erst in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen.

Auch in Baden-Württemberg ist eine Orientierung auf eher traditionelle Industrien festzustellen. Gerade wegen der Stärke seiner etablierten und großen Industrieunternehmen weist dieses Land zwar einerseits unterdurchschnittliche Unternehmens-Gründungsintensitäten vor allem im Dienstleistungssektor auf. Mit insgesamt rund 50 Gründungen je 10.000 Erwerbsfähigen liegt es unter dem westdeutschen Durchschnitt von 64 sowie unter den Werten für Länder wie Hessen (67), NRW (66) oder Bayern (60). Eine nähere Betrachtung der Unternehmensgründungen zeigt aber andererseits, dass Baden-Württemberg ein Bundesland ist, in dem vergleichsweise viele technologieorientierte neue Unternehmen entstehen. Die Anteile technologieorientierter Industriebranchen und technologieorientierter Dienstleistungsbranchen haben in diesem Land Spitzenwerte (Abb. 1). Hier handelt es sich vor allem auch um Unternehmen, die sich im Umfeld der erfolgreichen großen Industrieunternehmen ansiedeln. Einige Schwächen zeigen sich hinsichtlich der Gründungsanteile von nicht-technischen Dienstleistern. Auch dies ist Ausdruck der starken Industrieorientierung des Landes.

Ansprechpartner

Dr. Georg Licht, Telefon: 0621/1235-177, E-Mail: licht@zew.de

Jürgen Egeln, Telefon: 0621/1235-176, E-Mail: egeln@zew.de

Kontakt