ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Kombilohn

Standpunkt

Die Bundesregierung will bekanntlich die Einführung eines Kombilohns prüfen und hat in diesem Zusammenhang den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ersucht, ein Gutachten zu erstellen. Dem ist der Rat mit seiner Expertise "Arbeitslosengeld II reformieren: Ein zielgerichtetes Kombilohnmodell" nachgekommen. Die Resonanz auf diesen Vorschlag war erfreulicherweise hoch, bedauerlicherweise aber zum Teil durch mehr als unsachliche Kritik gekennzeichnet. Reflexartig wurde – schon bevor die Einzelheiten des Modells bekannt waren - unterstellt, der Sachverständigenrat wolle den Empfängern des Arbeitslosengelds II das sozialstaatlich gebotene Existenzminimum beschneiden.

Davon kann überhaupt keine Rede sein. Jeder der Betroffenen kann trotz der vorgeschlagenen Senkung des Regelsatzes des Arbeitslosengelds II den vollen Betrag erhalten, jedoch muss er dafür eine Gegenleistung erbringen, und zwar in Form einer intensiven Suche nach einem Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt oder hilfsweise durch Aufnahme einer Arbeit in einer Arbeitsgelegenheit. Es kann nicht deutlich genug darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Arbeitslosengeld II keine Versicherungsleistung darstellt, sondern eine Fürsorgeleistung an hilfsbedürftige Personen. Dann aber hat die Gesellschaft das Recht, eine Gegenleistung der beschriebenen Art zu fordern. Das entspricht im übrigen der bestehenden Gesetzeslage im Sozialgesetzbuch, und die derzeitigen Regelungen sind eigentlich viel strenger als der Vorschlag des Sachverständigenrats. Denn bei Ablehnung von Arbeitsplatzangeboten kann bereits jetzt das Arbeitslosengeld II wesentlich stärker gekürzt werden als die 30 v.H., die das Modell des Sachverständigenrats enthält. Natürlich steht es dem Gesetzgeber frei, über die Kürzung in Höhe von 30 v.H. und damit über die Anregung des Sachverständigenrats hinauszugehen. Ein entscheidender Unterschied zur bestehenden Praxis ist die Umkehrung der Beweislast. Der Arbeitslose muss selbst aktiv werden, um das bisherige Leistungsniveau zu erreichen. Das Modell des Sachverständigenrats behandelt deshalb Arbeitslose gerade nicht als „Drückeberger“ oder „Faulenzer“, was sie in ihrer großen Mehrheit auch nicht sind. Wieso knüpft das Modell des Rats am Arbeitslosengeld II an? Erstens besitzt das Arbeitslosengeld II bereits den Charakter eines Kombilohns, weil beispielsweise bei niedrigen Erwerbseinkommen ein ergänzender Bezug von Arbeitslosengeld II, also eine Lohnsubvention, gewährt werden kann. Zweitens ist die Zielgruppenorientierung vergleichsweise hoch. Rund drei Viertel der arbeitslosen Geringqualifizierten und der Langzeitarbeitslosen - dies sind die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt - können einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II geltend machen. Drittens erfolgt im Rahmen des Arbeitslosengelds II eine Bedürftigkeitsprüfung, die ohnehin Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Kombilohns darstellen sollte. Die Arbeitsgelegenheiten sind die ordnungspolitische Kröte, die man schlucken muss, denn anders lässt sich die Attraktivität regulärer Beschäftigung bei gleichzeitiger Wahrung des staatlich garantierten Mindesteinkommens nicht steigern. Es wäre blauäugig, die Gefahr von Verdrängungseffekten zu leugnen. Aber Übertreibungen sind ebenso verfehlt, und die Anzahl der Arbeitsgelegenheiten wird bei voller Wirksamkeit des Sachverständigenratsmodells niedriger sein als derzeit. Nach den Berechnungen des Sachverständigenrats wird sich der positive Beschäftigungseffekt auf dem ersten Arbeitsmarkt auf etwa 350 Tausend Personen belaufen. Ein Kombilohn ist mithin kein Königsweg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Er macht Reformen auf dem Arbeitsmarkt nicht entbehrlich und entlässt die Tarifvertragsparteien keineswegs aus ihrer Verantwortung. Die Lohnpolitikmuss eine weitere Spreizung der qualifikatorischen Lohnstruktur insbesondere im Niedriglohnbereich vornehmen, das Mindesteinkommen bleibt gleichwohl gesichert.