Warum publizieren Unternehmen in wissenschaftlichen Zeitschriften?

Workshop

ZEW/ISI-Workshop zum Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik

Mit rund 50 Teilnehmern fand der Online-Workshop des ZEW und ISI, gefördert durch das BMBF, in insgesamt drei Panelsessions statt. Behandelt wurden Themen im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens.

Was sind Gründe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, in wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren? Worin besteht die Motivation von Unternehmen zu publizieren und was hindert sie daran? Welche Rolle spielen Unternehmenspublikationen für das Innovationssystem und die Innovationspolitik? Diesen Fragen ging ein Online-Workshop am 24. November 2020 nach, gemeinsam organisiert vom ZEW Mannheim und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), unterstützt vom Bundesministerium von Bildung und Forschung (BMBF).

Die Veranstaltung bot rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit zum Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Unternehmen, Verbänden, Forschung und Politik. In den drei Panelsessions des Workshops „Wissenschaftliches Publizieren in Unternehmen: Entwicklungen, Motivationen und Herausforderungen“ diskutierten Expertinnen und Experten das Publikationsverhalten von Unternehmen aus unterschiedlichen Perspektiven.

In der Einführung stellte Torben Schubert, stellvertretender Leiter des Competence Centers Innovations- und Wissensökonomie am Fraunhofer ISI und Professor an der Universität Lund in Schweden, die Struktur sowie zentrale Ergebnisse des Projekts „Motive zum Veröffentlichen: Strukturen, Strategien, und Motive von Wissenschaftlichen Publikationen durch Unternehmen“ vor, in dessen Rahmen der Workshop organisiert wurde. So zeigten erste Projektergebnisse, dass eine signifikante Anzahl deutscher Unternehmen publizieren. Auch sei ihre Publikationstätigkeit zwar in den letzten 15 Jahren insgesamt konstant geblieben, allerdings habe sie sich in ihrer Struktur verändert: Die Publikationen konzentrierten sich auf weniger Unternehmen, es gäbe mehr Publikationen gemeinsam mit der Wissenschaft und der Anteil der Unternehmenspublikationen mit Grundlagenorientierung habe zugenommen.

Im ersten Panel wurde der Fokus auf die Perspektive von Unternehmensmitarbeiter/innen gelegt, moderiert von Maikel Pellens, Visiting Professor an der Universität Gent in Belgien. Professor Knut Blind, TU Berlin und Leiter des Geschäftsfelds Innovation und Regulierung am Fraunhofer ISI, führte durch das zweite Panel, das sich auf die Sicht der Unternehmen als Ganzes konzentrierte. Das finale Panel beschäftigte sich vor allem mit der Rolle von Unternehmenspublikationen für Innovationssystem und -politik, moderiert von Professor Torben Schubert.

Allgemeine Dokumente

Einleitung Workshop

Allgemeine Dokumente

Carsten Wehmeyer: Panel 1

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Jörg Römbke: Panel 1

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Maikel Pellens: Panel 1

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Jochen Maas: Panel 2

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Knut Blind: Panel 2

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Carolin Häussler: Panel 3

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Torben Schubert: Panel 3

Einheit & Themen

Warum publizieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Henry Sauermann zur Wertschätzung von Promovierenden in ihrem zukünftigen Beruf publizieren zu dürfen.

Henry Sauermann, Professor an der ESMT Berlin, betrachtete innerhalb seines Vortrags die Annahme, dass wissenschaftlich ausgebildete Fachkräfte ein grundsätzliches Interesse daran hätten, ihre Arbeit in Fachzeitschriften zu publizieren. Hierzu untersuchten sein Koautor, Professor Michael Roach, und er in einer Studie die Wichtigkeit des Publizierens für über 1.900 US-amerikanischen Doktorandinnen und Doktoranden. Insbesondere für Doktorandeninnen und Doktoranden mit Karrierezielen in der Industrieforschung spiele das Publizieren häufig eine weniger wichtige Rolle. Dahingegen erwarteten Promovierende von Spitzenuniversitäten mit selbst eingeschätzt hoher Leistungsfähigkeit für einen Verzicht auf das Publizieren einen signifikanten Gehaltsausgleich von ihrem Arbeitgeber.

Konkrete persönliche Motive präsentierte BDI-Referent für Digitalisierung und Innovation Dr. Carsten Wehmeyer. In Vorbereitung auf den Workshop organisierte er eine Blitzumfrage von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und seiner Unternehmen im Gremienumfeld zu ihren Beweggründen zum Publizieren. Die eigene Neugierde und das Vergnügen am wissenschaftlichen Arbeiten seien bei den Befragten die häufigsten Motive zum Publizieren, wohingegen eine Entlohnung durch den Arbeitgeber und die Verbesserung eigener Karrierechancen relativ selten als Grund genannt wurden. Als größtes Hindernis des Publizierens wurde der Zeitmangel für Recherche- und Schreibarbeiten genannt, wobei auch fehlende Wertschätzung und Unterstützung von Arbeitgebern eine Rolle spielten.

Dr. Jörg Römbke, Geschäftsführer und Mitgründer des Unternehmens ECT Oekotoxikologie GmbH, berichtete aus Sicht eines mittelständischen Auftrags-Labors. Dort würden neue ökotoxikologische Methoden unter anderem publiziert, um zu der Entwicklung von neuen Teststandards beizutragen. Allerdings verhinderte die Vertraulichkeit von Testergebnissen das Publizieren von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Römbke, der selbst umfassend publiziert hat, betonte außerdem den Mehrwert des vertieften Verständnisses von Inhalten im Publikationsprozess.

Die Wichtigkeit von gezielten Maßnahmen zur Reduzierung von Publikationshindernissen zeigte sich während der Diskussion im ersten Panel. Die Vereinbarung von Publikationszielen für bestimmte Beschäftigtengruppen sowie konkrete Angaben in Stellenbeschreibungen und Aufgabenstellungen könnten unterstützend wirken. Allgemeine Förderung von Publikationen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien hingegen kritisch zu sehen, da sie beispielsweise solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benachteiligen würden, die an nicht-veröffentlichbaren Projektergebnissen arbeiteten, so Römbke.

Warum publizieren Unternehmen?

Markus Simeth zur Wichtigkeit von wissenschaftlichen Publikationen als Signal für Kapitalmärkte.

Prof. Katrin Hussinger von der Universität Luxembourg erläuterte in ihrem Impulsvortrag im zweiten Panel, dass 50 Prozent aller Unternehmen, deren Aktien an der New Yorker Börse gehandelt werden, Informationen zu Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten veröffentlichen. Dies unter anderem, um Ihre Investoren zu informieren und niedrige Unternehmensbewertungen zu vermeiden. Die Bedeutung von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Prozess verdeutlichte auch Markus Simeth, Assistant Professor an der Copenhagen Business School in Dänemark. Die von ihm über den Zeitraum 1997–2014 untersuchten US-amerikanischen Aktienunternehmen gleichen eine sinkende Zahl von Analysten, welche über sie berichten, durch zusätzliche wissenschaftliche Publikationen aus. Dies gelte besonders für Unternehmen mit Bedarf an externen Finanzmitteln und zeige, dass Publikationen als Signalgeber für den Kapitalmarkt genutzt werden.

Die Gründe zum Teilen von Informationen zu Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen beleuchtete Katrin Hussinger weiter. So würden die Publikationen zum Aufbau von Reputation, zum Anziehen von Geldgebern und zum Finden von Kooperationspartnern genutzt. Dr. Christian Tidona, Gründer und Geschäftsführer von BioMed X, ergänzt diese Liste aus Sicht eines privaten Forschungsinstituts aus der klinischen Forschung. Das Geschäftsmodell des Heidelberger Instituts sei darauf fokussiert, exzellente Wissenschaftler aus der ganzen Welt in frühen Karrierephasen zu rekrutieren und in das lokale Industrie- und Wissenschaftsnetzwerk zu integrieren. Um im Recruitment-Prozess durch die Signalisierung der eigenen wissenschaftliche Expertise erfolgreich zu sein, sei es für Unternehmen zwingend notwendig, zu publizieren. Ferner würden die beschäftigten Wissenschaftler bei Publikationsvorhaben unterstützt, um ihnen eine potenzielle Rückkehr in den akademischen Sektor offen zu halten.

Prof. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Sanofi-Aventis Deutschland, präsentierte inwiefern Publikations- und Patenstrategien gemeinsam zur übergeordneten Schutzrechtsstrategie von Unternehmen gehören. So könnten Unternehmen ihre Schlüsseltechnologien patentieren lassen und zur selben Zeit Publikationen zu verwandten Technologien veröffentlichen, um Wettbewerber von ähnlichen Patentierungsabsichten abzuhalten. Auch verwies er nochmals auf die Feedback-Funktion des Publizierens: Eine erfolgreiche wissenschaftlich publizierte Arbeit signalisiert ein gutes wissenschaftliches Niveau der eigenen Forschung und bietet potenziellen Kunden zuverlässige Informationsquellen zu Produkten und Technologien des Unternehmens. Auch Katrin Hussinger diskutierte die Möglichkeit, wissenschaftliche Publikationen in die Schutzrechtstrategie von Unternehmen einzubinden. Gemeinsam mit Dr. Antonio della Malva von der KU Leuven zeigte sie in einer Studie, dass Unternehmen mit Hilfe von wissenschaftlichen Publikationen Patentanmeldungen anderer Parteien verhindern können.

Die anschließende Paneldiskussion befasste sich auch mit den Hindernissen des unternehmerischen Publizierens. Die ungewollte Weitergabe von internem Wissen an Konkurrenten und die Schwächung der eigenen Wettbewerbsposition wurden als größte Gefahren diskutiert. Daher seien interne Prozesse zur vorherigen Prüfung von Publikationen wichtig, diese könnten jedoch den Publikationsprozess verlangsamen oder sogar verhindern. Interne Managementsysteme zur Einhaltung wissenschaftlicher Standards und Schulungen, bis hin zu individuell geschaffen Positionen im Unternehmen wurden diskutiert.

Welche Rolle spielen Unternehmenspublikationen für das Innovationssystem und die Innovationspolitik?

Carolin Häussler verdeutlichte die wechselseitige Ergänzung von Grundlagenforschung und praktischer Anwendung am Beispiel von klinischen Studien.

Carolin Häussler, Professorin an der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), eröffnete das dritte Panel mit ihrer Präsentation zur Wichtigkeit des bidirektionalen Austauschs zwischen Wissenschaft und Unternehmen. Die durchschnittliche Anzahl wissenschaftlicher Zitate in Unternehmens-Patenten habe sich seit den 80iger Jahren vervielfacht, dies verdeutliche die zunehmende Wichtigkeit des durch wissenschaftlichen Publikationen geschaffenen Wissensvorrats für die Entwicklung neuer Unternehmenstechnologien, so die Ergebnisse der von ihr vorgestellten Studie. In einer neuen Studie fand Häussler mit ihrer Koautorin heraus, dass Prüfärztinnen und -ärzte mit Kenntnissen in der grundlagenorientierten Forschung deutlich erfolgreicher in klinischen Studien sind als Ärzte ohne diese Kenntnisse. Dies verdeutliche die Komplementarität zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung.

Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ des WZB und Professor an der TU Berlin, betrachtete die unterschiedlichen Rollen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Wissenstransfer. Er unterschied zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eine klassisch beobachtende Rolle im Innovationssystem einnehmen, und denen, die aktiv intervenieren und politische und unternehmerische Veränderungsprozesse anstoßen wollen. Wissenschaftlichen Zeitschriften empfahl er eine Öffnung gegenüber angewandter und gesellschaftlich hoch relevanter Forschung, die häufig auch aus dem unternehmerischen Kontext entstehe.

Der Leiter des BMBF-Referats für Anwendungsorientierte Forschung für Innovationen, Ministerialdirigent Engelbert Beyer, griff in seinem Impulsvortrag die bisherigen Diskussionen des Workshops auf und brachte diese in Beziehung zu den aktuellen Richtlinien des Bundesforschungsministeriums. Exemplarisch verwies er dabei auf die Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Kostenbasis (NKBF) des BMBF. Darin werde beispielsweise ein Sachbericht zu den Ergebnissen eines geförderten Forschungsprojekts verlangt und veröffentlicht. Gleichzeitig würden allerdings keine expliziten Anreize zum weiteren Publizieren der Ergebnisse gesetzt. So bliebe ein großer Teil der in den Projekten gewonnen Erkenntnisse unzugänglich und nicht weiterverwendbar. Da ein Eingreifen des Fördergebers in die Publikationsstrategien von Unternehmen kritisch zu betrachten sei, blieb die Antwort auf die Frage, ob weitere Anreize zum Publizieren geschaffen werden sollten, allerdings offen. Jedoch habe das vom BMBF unterstützte Programm „Forschungscampus“ die Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft unter einem Dach gefördert, so dass daraus auch viele gemeinsame Publikationen entstanden seien.

Fazit: Forschungsförderung muss flexibel gestaltet sein

Knut Blind fasste die Hauptergebnisse der drei Panel abschließend kurz zusammen. Er wies auf die starke Heterogenität des wissenschaftlichen Publizierens in Unternehmen hin:

  1. Individuelle Publikationsmotive von Forschenden in Unternehmen sind sehr unterschiedlich und verändern sich teilweise über den Lebenszyklus der Forschenden,
  2. Publikationsstrategien und -aktivitäten von Unternehmen sind sehr industriespezifisch und hängen von Unternehmensgröße und Geschäftsmodell ab.

Auch sei in den Lebenswissenschaften zwar eine Annäherung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen hinsichtlich des Publizierens und Patentierens beobachtbar, jedoch seien Publikationsaktivitäten beispielsweise im deutschen Automobilsektor noch sehr begrenzt. Folglich sollten Forschungsförderungen stärker auf die Option der Publikation – auch durch oder unter Mitwirkung von Unternehmen – hinweisen, aber grundsätzlich weiterhin sehr flexibel gestaltet werden.

Weitere Informationen

Motive zum Veröffentlichen: Strukturen, Strategien, und Motive von Wissenschaftlichen Publikationen durch Unternehmen

01.06.2018 – 31.12.2020 Mehr zum Projekt