Im Gesundheitswesen ist „mehr Ökonomie“ die Antwort, nicht das Problem

Standpunkt

Standpunkt des ZEW-Präsidenten Achim Wambach und ZEW-Gesundheitsökonom Simon Reif

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD und Dr. Simon Reif erklären, dass „mehr Ökonomie“ die Antwort und nicht das Problem für das Gesundheitswesen ist.

Dem Gesundheitswesen stehen turbulente Zeiten bevor – Beitragserhöhungen, Pflegemangel und eine Krankenhausreform, die nach Gesundheitsminister Lauterbach eine „Revolution im System“ bewirken wird. Die Reform sei notwendig, weil „die Balance zwischen Medizin und Ökonomie verloren“ gegangen sei. Dabei ist „mehr Ökonomie“ die Antwort, nicht das Problem.

Der effiziente Umgang mit knappen Ressourcen, also eine essentielle ökonomische Fragestellung, ist die große Herausforderung im Gesundheitswesen. Aktuelle Indikatoren hierfür sind Prämienerhöhungen bei Krankenkassen, Fachkräftemangel und Pflegenotstand sowie Krankenhäuser, die hohe Verluste verbuchen. Wenn man allerdings vom Ausland nach Deutschland schaut, sieht dies anders aus: Innerhalb der EU ist Deutschland eines der Länder mit den meisten Ärzten, den meisten Pflegern und auch den meisten Krankenhausbetten pro Kopf. Das deutsche Gesundheitswesen ist damit aber nicht besonders erfolgreich – bei gängigen Kennziffern wie erreichten Lebensjahren oder Rückfallquoten nach Operationen schneidet Deutschland nur mittelmäßig ab. Im internationalen Vergleich also Spitze beim Ressourceneinsatz, Mittelmaß bei den Ergebnissen.

Die Einführung von Fallpauschalen im Jahr 2003 verfolgte das Ziel, die Effizienz im Krankenhaussektor zu steigern. Das Krankenhaus erhält für jeden Behandlungsfall eine Vergütung, die abhängig ist von Diagnose, Schweregrad und Behandlungsart. Die Höhe dieser Fallpauschale entspricht in etwa den durchschnittlichen Kosten für die Behandlung eines solchen Falles. Krankenhäuser, die kostengünstiger als der Durchschnitt behandeln, können damit Gewinne erzielen. Somit setzt das Fallpauschalen-System Anreize, Kosten einzusparen.

Zwei Konstruktionsfehler haben jedoch zu Problemen geführt. Zum einen wird im deutschen Fallpauschalen-System auch die Art der Behandlung berücksichtigt, wodurch Operationen meist besser vergütet werden als konservative Behandlungen. Für Krankenhäuser entsteht dadurch ein Anreiz, möglichst viele Operationen durchzuführen – nicht immer zum Wohle der Patienten. Zum anderen greifen Fallpauschalen zu kurz, wenn Krankenhäuser bestimmte Kapazitäten vorhalten müssen, aber dann nicht genügend Fälle abrechnen können. Exemplarisch dafür stehen Geburtskliniken. Um jederzeit Geburten begleiten zu können, müssen Kapazitäten von Hebammen und Kreißsälen vorgehalten werden, auch in Regionen mit wenig Geburten. In diesen Regionen können jedoch wegen der geringen Zahl an abrechenbaren Fallpauschalen die Vorhaltekosten nicht refinanziert werden. Die wirtschaftliche Folge ist, dass viele Geburtskliniken geschlossen wurden.

Mit der nun diskutierten Krankenhausreform sollen diese beiden Konstruktionsfehler behoben werden. Das vorgegebene Ziel – weniger ökonomischen Druck für Krankenhäuser, um sich stärker auf die Qualität der Behandlung konzentrieren zu können – suggeriert allerdings, dass wirtschaftlicher Wettbewerb und Qualität im Widerspruch stehen. Gerade der Wettbewerb führt aber in den meisten Wirtschaftsbereichen dazu, dass Anbieter durch bessere Qualität oder niedrigere Preise um ihre Kundschaft werben. Hinter den Schlagzeilen zur Krankenhausreform verbergen sich aber vernünftige ökonomische Argumente: Um das Problem der übermäßigen Operationen, insbesondere in weniger gut geeigneten Krankenhäusern, zu lösen, soll die Qualitätssicherung durch verbesserte Zugänglichkeit von Informationen über die Behandlungsqualität der Krankenhäuser für Patienten erfolgen. Krankenhäuser stünden also stärker als bisher im Qualitätswettbewerb um Patienten.

Die empirische Evidenz für die Wirksamkeit solcher öffentlicher Qualitätsinformationen ist jedoch begrenzt. Bereits bestehende Portale wie die Weisse Liste werden zwar genutzt, allerdings wählen Patienten trotzdem oft das nächstgelegene und nicht das beste Krankenhaus für ihre Indikation. Um die Nutzung von Qualitätsinformationen bei der Krankenhauswahl zu fördern, sollten auch Krankenkassen befugt werden, Vorschläge für die Krankenhauswahl zu machen, wie etwa die Monopolkommission empfiehlt. Krankenkassen verfügen über eine gute empirische Basis zur Einschätzung der Behandlungsqualität. Zudem haben sie klare Anreize, dass ihre Versicherten möglichst gut behandelt werden, um Folgekosten wie Nachbehandlungen oder Krankengeld zu reduzieren.

Das Problem der Unterfinanzierung von Behandlungsfällen mit hohen spezifischen Vorhaltekosten soll im Zuge der Krankenhausreform durch sogenannte Vorhaltebudgets gelöst werden. Dabei sollen Krankenhäuser eine Grundfinanzierung für die Vorhaltung von Kapazitäten für bestimmte Leistungen erhalten, zuerst auf Basis der bisher erbrachten Behandlungsfälle und später in Abhängigkeit vom regionalen Versorgungsbedarf sowie Qualität und Fallmenge. Diese Grundfinanzierung gibt den Krankenhäusern zwar mehr Planungssicherheit, birgt allerdings das Risiko, dass die aktuelle Versorgungssituation inklusive Überkapazität und Unterfinanzierung fortgeschrieben wird. Sinnvoller wäre, die Vorhaltebudgets regelmäßig in Versorgungsregionen unter allen Krankenhäusern, die die Qualitätsanforderungen erfüllen, danach zu verteilen, welches Krankenhaus die niedrigsten Vorhaltebudgets verlangt. Mit einem solchen Auktionsmechanismus könnte die gleiche Vorhalteleistung zu niedrigeren Kosten erreicht werden. Außerdem könnte mit regelmäßigen Ausschreibungen auf veränderte Versorgungsbedürfnisse reagiert werden.

Die zwei größten Stellschrauben der Krankenhausreform zur Qualitätssteigerung und Vorhaltefinanzierung sind ökonomischer Natur. Eine vertiefte Diskussion über die Anreizwirkung der ökonomischen Instrumente täte daher gut. Dafür bedarf es aber weitergehender Daten. Anstatt Pauschalkritik an der Ökonomie zu üben, sollte die Politik eher den Diskurs intensivieren. Außerdem sollte sie auf die Bereitstellung solcher Daten hinarbeiten, um das Ziel zu erreichen, das sich Medizin und Wirtschaftswissenschaften teilen: die Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit.

Dieser Standpunkt erschien zuerst am 30. Juni 2023 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) als Gastbeitrag.