Europas Chance
StandpunktStandpunkt des ZEW-Präsidenten Achim Wambach
Die USA und China setzen auf eine nationale Politik. Die EU sollte eine Alternative bieten, fordert ZEW-Präsident Achim Wambach in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Mit dem Schlagwort „America First“ hat Donald Trump die Auseinandersetzung mit Partnerländern und anderen begonnen. Zwar haben auch die Präsidenten vor ihm die Interessen der USA im Blick gehabt, doch Trump schaut vermehrt auf kurzfristige vermeintliche Erfolge und vernachlässigt dabei die langfristigen Wirkungen.
Seine erratische Außenpolitik zeigt dies täglich: Die NATO-Partner können sich einer Unterstützung durch die USA im Ernstfall nicht mehr sicher sein. Die Ukraine erfährt täglich neu, wie weit die Unterstützung durch die USA reicht. Beides stärkt Russland und schwächt die langfristigen Interessen der westlichen Länder, inklusive der USA.
Ein weiteres Beispiel ist seine Zollpolitik. Ökonomisch betrachtet können Länder mit wirtschaftlicher Macht durch Zölle durchaus kurzfristig Vorteile erzielen. Die unilateral optimalen Zölle der Amerikaner gegenüber Europa sind demnach nicht null, sondern positiv. Umgekehrt ist es genauso.
Es gilt aber auch, dass beide Regionen mehr profitieren, wenn sie gemeinsam auf Zölle verzichten. Kooperation schlägt Eigennutz. Das aktuell verhandelte Zollabkommen von 15 Prozent für Importe in die USA und null Prozent für Importe in Europa zeigt, wohin einseitige Politik führt: Studien schätzen, dass die Wirtschaftsleistung in der EU um 0,1 Prozentpunkte sinkt, die der USA durch die Zollauseinandersetzung insgesamt sogar um bis zu 0,5 Prozentpunkte. Verlässlichkeit schafft das Abkommen jedoch nicht: Die gemeinsame Erklärung ist rechtlich unverbindlich, Trump kann die Zölle jederzeit wieder erhöhen. Zudem reißen die Drohungen gegen die EU nicht ab – nun nimmt Trump Länder mit Digitalsteuern auf Umsätze von Google, Meta und Co. ins Visier und erwägt Sanktionen gegen EU-Beamte, die für die Umsetzung des Digital Services Act zuständig sind.
Unsicherheit hemmt Investitionen
Insbesondere die Unsicherheit, die diese Form der Politik erzeugt, erweist sich als Investitionsbremse. So verwundert es nicht, wenn deutsche Unternehmen angeben, zu 30 Prozent die Investitionen in die USA zurückstellen und sie zu 15 Prozent komplett streichen zu wollen. Studien zeigen zudem, dass eine Zunahme der wirtschaftspolitischen Unsicherheit
zu spürbaren Rückgängen bei Investitionen führt. Das zeigt der Economic Policy Uncertainty Index, der auf der Auswertung wirtschaftspolitischer Berichterstattung in Tageszeitungen basiert. Eine aktuelle Analyse der EU-Kommission für den Euroraum zeigt: Ein sprunghafter Anstieg der Unsicherheit durch einen exogenen Schock senkt das Investitionswachstum binnen eines Jahres um bis zu 1,2 Prozentpunkte.
Nicht ohne Grund benennt der ordoliberale Ökonom Walter Eucken, der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, die „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ als eines von sieben konstituierenden Prinzipien einer guten Wirtschaftspolitik. Dieses Prinzip geht mehr und mehr verloren.
Auch China agiert zunehmend kurzsichtig. Litauen wird von Peking durch unterlassene Exportabfertigung sanktioniert, weil Litauen eine taiwanische Botschaft eröffnen will. Weil Australien eine internationale Untersuchung des Ursprungs der Coronavirus-Pandemie fordert, bricht der chinesische Handel mit Australien ein und geht Vertrauen in die Stabilität der wirtschaftlichen Beziehungen verloren. Und jedes Unternehmen berücksichtigt dann in seinen Investitionsentscheidungen die Sorge, gegenüber China möglicherweise willkürlichen kurzfristigen Handelsbarrieren ausgesetzt zu werden.
Alternativen für Europa
Deutschland und Europa müssen sich auf diese neuen geopolitischen Realitäten einstellen: langfristige Zusammenarbeit dort, wo möglich, Schadensminimierung statt Kooperation dort, wo es nötig ist.
Ein Blick auf die Handelsstruktur zeigt: Je rund neun Prozent des deutschen Außenhandels entfallen auf die USA und China. Es lohnt sich also, über die anderen 82 Prozent nachzudenken. 53 Prozent davon gehen in die EU. Hier liegt viel ungenutztes Potential. Laut einer aktuellen Studie des Internationalen Währungsfonds entsprechen die regulatorischen Barrieren innerhalb der EU einem Zollsatz von bis zu 44 Prozent für Güter und 110 Prozent für Dienstleistungen.
Die EU-Kommission spricht von den „terrible ten“ – zehn besonders hartnäckigen Binnenmarkthemmnissen, die Unternehmen tagtäglich spüren. Wer jemals versucht hat, Fachkräfte ins EU-Ausland zu entsenden oder an EU-weiten Ausschreibungen teilzunehmen, kann ein Lied davon singen. Der Ausbau des Binnenmarktes, wofür Kooperation und ein Geben und Nehmen zwischen den europäischen Ländern notwendig ist, birgt enorme Chancen für den Wohlstand der beteiligten
Länder.
Der Großteil des EU-Exports wiederum geht auch nicht nach China oder den USA, sondern in andere Weltregionen. Auch hier liegt demnach Potential. Die Trump’sche Zoll-Willkür hat deutlich gemacht, wie vorteilhaft regelbasierter Handel sein kann. Die vermeintliche Schwäche Europas – die Vielstimmigkeit der Länder und die relative Machtlosigkeit der Kommissionspräsidentin im Vergleich zu den Präsidenten Chinas und der USA – ist eine Stärke für die internationale Zusammenarbeit mit Ländern und Regionen, die kooperationsbereit sind.
Südamerikanische Länder oder Indien müssen sich im Handel mit Europa wesentlich weniger Sorgen vor kurzfristigen politischen Eingriffen machen, als sie es mit China und jetzt auch den USA machen müssen. Diese Stärke gilt es auszuspielen – mit weiteren Handelsverträgen der EU etwa mit Indien, Australien, Indonesien oder Singapur und der Ratifizierung des Handelsabkommens mit Mercosur.
Um gegenüber den USA und China zu bestehen, muss sich Europa der eigenen Interessen bewusster werden. Wenn die Akteure gegenüber auf egoistisch umschalten, ergibt es wenig Sinn, weiter kooperativ zu spielen. Europas Wirtschaftsraum ist attraktiv, und Europa ist groß genug, um den Welthandel zu beeinflussen. Einseitig auf Regelkonformität zu pochen, während andere längst ihre wirtschaftliche Macht ausspielen, ist keine Strategie, sondern unangebrachte Zurückhaltung.
Riskante Wahl für Trump
In der jetzigen Situation warten Unternehmen ab. Das derzeitige Zollpaket ist wahrscheinlich nicht das letzte Wort. Kein ernst zu nehmender Ökonom in den USA unterstützt die Zollpolitik Trumps. Und der US-Präsident reagiert auf seine Umwelt: Der abrupte Zinsanstieg auf den Finanzmärkten an seinem sogenannten „Liberation Day“ im April, an dem er die hohen Zölle angekündigt hatte, hat ihn genötigt, am nächsten Tag die Zölle wieder auszusetzen. Unternehmen, die wie Apple einen direkten Draht ins Weiße Haus besitzen, konnten übergangsweise Zollausnahmen für Smartphones, Computer und Chips erwirken. Der Konsument, der am meisten unter den Zöllen leidet, kann sich aber erst 2026 bei den Zwischenwahlen zum Kongress spürbar äußern. Trump und sein Team sind sich dessen bewusst – ein Jahr ohne ordentliches Wachstum und möglicherweise steigende Inflation werden sie zu vermeiden suchen.
Gegenüber China geht es wirtschaftlich um weit mehr als nur Zollfragen. Der Wettbewerb mit einem staatlich gelenkten Wirtschaftsraum bedarf eigener Regeln und Strukturen. Die neue EU-Verordnung gegen Subventionen aus Drittstaaten an Unternehmen, die in Europa tätig sind, war dabei ein wichtiger Schritt. Aus China subventionierte Unternehmen müssen ihre Finanzhilfen offenlegen, etwa wenn sie europäische Unternehmen kaufen oder sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen wollen. Die EU kann ihnen dann den Zugang verwehren.
Langfristig muss Europas wichtigstes Ziel aber die strategische Unabhängigkeit sein, und dieses Ziel sollte auch die Verhandlungen und die weiteren Schritte der EU lenken. Die Stärkung des Binnenmarktes und eine Ausweitung der Handelspartner wären wichtige Bausteine dafür. Eine weitere Zunahme an Importen aus China, wie sie derzeit zu beobachten ist, ist es nicht.
Dieser Gastbeitrag erschien zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.