Kernenergieausstieg: Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen AKW-Betreibern

Forschung

Ein offener Streitpunkt in den Verhandlungen zum geregelten Ausstieg aus der Atomenergie sind Länge und Bezugsbasis der Laufzeiten für die Reaktoren. Die Atomkritiker - auf politischer Ebene vor allem durch die Regierungspartei Die Grünen/Bündnis 90 vertreten - fordern Laufzeiten von maximal 25 bis 30 Kalenderjahren. Atombefürworter, insbesondere die Eigentümergesellschaften von Kernkraftwerken, beharren dagegen auf einer Laufzeit von 40 Volllastjahren, bei deren Berechnung nur die tatsächliche Betriebsdauer von Reaktoren eingeht. Strittig sind diese beiden Größen vor allem deshalb, weil von ihrer Festlegung abhängt, wann das letzte Kernkraftwerk vom Netz geht, und welche Kostenbelastung durch den Kernenergieausstieg insgesamt entsteht. Darüber hinaus bestimmt die Wahl der einen oder anderen Ausstiegsvariante, welche potenziellen Kosten auf die einzelnen Kernkraftwerkseigentümer zukommen und sind so für die Wettbewerbssituation der jeweiligen Energieunternehmen von Bedeutung. In einer aktuellen Studie hat das ZEW untersucht, wie sich ein vorzeitiger Kernenergieausstieg auf die Höhe und Verteilung der dadurch entstehenden betriebswirtschaftlichen Kosten für die Kraftwerkseigentümer auswirkt. Die Kosten eines vorzeitigen Ausstiegs wurden dabei gegenüber einem Referenzszenario gemessen, für das als wirtschaftliche Nutzungsdauer der Kraftwerke 40 Volllastjahre unterstellt sind (siehe Abbildung 1).

Bei nominal gleicher Jahreszahl für die Laufzeit ermöglicht die Variante "Volllastjahre" den Betreibergesellschaften, ihre Anlagen länger zu nutzen als bei der Variante "Kalenderjahre", da historische und zukünftige Stillstandzeiten die Betriebsdauer entsprechend verlängern. Dadurch würden sich die betriebswirt-schaftlichen Kosten des Ausstiegs und somit auch die potenziellen Entschädigungsforderungen erheblich verringern. Aus Sicht der Befürworter eines schnellen Ausstiegs hat die Variante "Volllastjahre" aber den Nachteil, dass sich das Abschalten der Kraftwerke weiter in die Zukunft verschiebt. Allerdings bringt die Variante "Volllastjahre" auch dann Kostenvorteile, wenn sie so gewählt wird, dass der gleiche Ausstiegszeitpunkt wie in der Variante "Kalenderjahre" erreicht wird. Dies liegt daran, dass trotz der entsprechenden Verkürzung der Laufzeiten bei der Variante "Volllastjahre" einige Kraftwerke wegen ihrer geringen historischen Auslastung länger am Netz bleiben dürfen als dies bei der Variante "Kalenderjahre" erlaubt wäre, was zu einem kostensenkenden Kapazitätsausnutzungeffekt führt.

Neben der Höhe der Gesamtkosten beeinflussen die Länge und Bezugsbasis für die Laufzeiten auch entscheidend die Verteilung der Kosten auf die Eigentümergesellschaften. Die 19 deutschen Kernkraftwerke befinden sich fast ausschließlich in den Händen der Hamburger Electricitätswerke AG (HEW), Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), Isar-Amperwerke AG, Bayernwerke AG, Neckarwerke Stuttgart AG (NWS), PreussenElectra AG, RWE Energie AG sowie der Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW).

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die unternehmensspezifische Belastung für die Ausstiegsvarianten "30 Kalenderjahre", "30 Volllastjahre" und "26 Volllastjahre", wobei die letztgenannte Variante effektiv zum gleichen Ausstiegszeitpunkt (2019) führt wie die Variante "30 Kalenderjahre".

Analog zur Entwicklung der Gesamtkosten verringert sich die Belastung infolge eines vorzeitigen Ausstiegs auch auf Unternehmensebene beim Übergang von der Variante "30 Kalenderjahre" zur Variante "30 Volllastjahre". Mit Abstand am stärksten belastet in Absolutbeträgen wird die PreussenElektra AG, was durch die Beteiligung an mehreren Kraftwerken mit hohen Ausstiegskosten begründet ist. Allerdings erscheinen die in Absolutbeträgen ausgewiesenen Kostenbelastungen wenig aussagekräftig, wenn es um die potenziellen Wettbewerbsverzerrungen unter den Stromerzeugern durch einen vorzeitigen Kernenergieausstieg geht. So kann sich ein hoher Absolutbetrag als Belastungsmaß schnell relativieren, wenn man ihn an der Unternehmensgröße (z. B. gemessen in Stromumsatzerlösen) mißt. Daher wird in Tabelle 1 als unternehmensspezifisches Belastungsmaß die potenzielle Strompreiserhöhung für die Unternehmen angegeben, wenn sie ihre Mehrkosten gleichmäßig über 20 Jahre auf ihren gesamten Stromabsatz überwälzen. Auch wenn eine vollständige Überwälzung in Zeiten harten Wettbewerbs wenig realistisch erscheint, so ist diese Größe doch ein guter Indikator für potenzielle Wettbewerbsverzerrungen infolge alternativer Regelungen zum Atomausstieg. Es zeigt sich, daß insbesondere die Weser GmbH, HEW, NWS und die PreussenElektra AG von der Variante "30 Kalenderjahre" belastet werden würden. Bei der Variante "30 Volllastjahre" dagegen reduziert sich die Spannbreite der Belastungen erheblich - das Verzerrungsproblem wird entschärft. Die Unternehmen profitieren dabei je nach Alters- und Auslastungsstruktur ihrer Kraftwerke in unterschiedlichem Maße von der Volllastjahrregelung, was die veränderte Reihenfolge in der Belastung gegenüber der Variante "30 Kalenderjahre" erklärt.

Die alternativen Regelungen zum Kernenergieausstieg betreffen die einzelnen Energieunternehmen also in ganz unterschiedlichem Maße. Dies impliziert, dass die Eigentümergesellschaften bei den Ausstiegsverhandlungen nicht unbedingt als homogene Einheit aufzufassen sind. Für den Gesetzgeber stellt sich in diesem Zusammenhang nicht nur die Aufgabe, eine möglichst entschädigungsfreie Regelung zu finden, sondern auch eine Lösung zu wählen, die weitgehend wettbewerbsneutral zwischen den konkurrierenden Eigentümergesellschaften wirkt.

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Dr. Christoph Böhringer, Telefon: 0621/1235-210, E-Mail: boehringer@zew.de