ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur Vertrauensfrage in Frankreich
Kommentar„Fiskalische Realitätsverweigerung“
Heute stellt der französische Premierminister François Bayrou die Stabilität seines Kabinetts in der Nationalversammlung zur Debatte. Die angespannte Haushaltslage Frankreichs ist ein zentraler Grund, warum Bayrou die Vertrauensfrage stellt. Der Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW Mannheim und Professor an der Universität Heidelberg, Friedrich Heinemann, erklärt dazu:
„Wenn die Regierung Bayrou in Frankreich fällt, wird das Land in einer fiskalisch heiklen Situation handlungsunfähig. Die Ablehnung der moderaten Konsolidierungsvorschläge durch eine Parlamentsmehrheit muss als fiskalische Realitätsverweigerung gewertet werden. Frankreichs Staatsfinanzen bewegen sich in Richtung Kontrollverlust. Anders als Berlin ist es Paris nicht gelungen, nach der Finanzkrise und der Pandemie das Defizit wieder einzudämmen. Seit 2010 schwankt das Haushaltsdefizit um sehr hohe 5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Folge ist ein Anstieg der Staatsverschuldung auf inzwischen 116 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Auf jeden Franzosen, vom Baby bis zum Greis, entfällt momentan ein jährliches Staatsdefizit von 2.400 Euro und ein Schuldenstand in Höhe von 55.000 Euro. Die hohen Schulden gehen mit einer der höchsten Staatsquoten in der EU einher. Absolut liegen sie mit rund 3,5 Billionen Euro weit vor dem größeren Deutschland (2,8 Billionen Euro) und dem hoch verschuldeten Italien (3,1 Billionen Euro).
Frankreich müsste eigentlich mehr sparen, als Bayrou das vorgegeben hat. Wenn sich die Menschen und die Politik in Frankreich diesen Realitäten verweigern, wird es gefährlich, auch für die Europäische Zentralbank. Denn auf diese richten sich spätestens dann alle Blicke, wenn es zum Ausverkauf französischer Staatsanleihen kommt. Die Erwartungshaltung der französischen Fiskalpopulisten ist offenbar, dass Europas Zentralbank dem Land jeden Kredit gibt, den es braucht. Dass das die Stabilität des Euro untergraben würde, ist offensichtlich. Und es gibt eine weitere heikle Konsequenz für die EU, die inzwischen gerne selbst Schulden macht. Mit der französischen Bonität sinkt auch die Kreditwürdigkeit der Europäischen Union.“