Kulturelle Prägung des Herkunftslands beeinflusst Geburtenrate von Migrantinnen in Deutschland

Forschung

In Deutschland bringen Frauen mit Migrationshintergrund tendenziell mehr Kinder zur Welt als deutsche Frauen. Die im Schnitt höhere Kinderzahl ist indessen nicht allein das Ergebnis unterschiedlicher sozialer Hintergründe, sondern wird auch von der kulturellen Prägung der Frauen beeinflusst. Dieser Befund gilt für Frauen der ersten Einwanderergeneration und in abgeschwächter Form auch noch für Frauen, die bereits in zweiter Generation in Deutschland leben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Um zu untersuchen, inwiefern kulturelle Normen die Geburtenzahl beeinflussen, nutzt die ZEW-Studie einen methodischen Ansatz, mit dessen Hilfe sich kulturelle und institutionelle Einflüsse weitgehend trennen lassen. Sie stützt sich u.a. auf Informationen zu den Geburtenraten und Fertilitätsnormen in den Herkunftsländern der Migrantinnen sowie auf die Befragungswelle des deutschen Mikrozensus aus dem Jahr 2008, die es erlaubt, eingebürgerte Migrantinnen in Deutschland zu identifizieren. Insgesamt werden Informationen zu über 4.500 Frauen mit Migrationshintergrund aus 18 verschiedenen Herkunftsländern berücksichtigt.

Die ZEW-Studie unterscheidet drei Generationen von Einwanderinnen. Die Frauen der ersten Generation sind im Ausland geboren und wanderten im Alter von 15 bis 18 Jahren nach Deutschland ein. Die Frauen der "Generation 1,5" sind im Ausland geboren und waren jünger als 15 Jahre, als sie nach Deutschland kamen. Die Einwanderinnen der zweiten Generation sind in Deutschland als Ausländerinnen oder als deutsche Staatsbürgerinnen mit mindestens einem ausländischen Elternteil geboren.

Die Analyse zeigt, dass die Fertilitätsnormen der Herkunftsländer auch dann einen Einfluss auf die eigene Kinderzahl haben, wenn Migrantinnen die fruchtbaren Jahre in Deutschland verbringen, also unter vergleichbaren institutionellen Rahmenbedingungen wie Frauen ohne Migrationshintergrund. Am stärksten wirkt sich die kulturelle Prägung auf Einwanderinnen der ersten Generation aus. Der Einfluss der kulturellen Prägung des Heimatlands schwächt sich bei den Einwanderinnen der "Generation 1,5" und noch einmal für die Einwanderinnen der zweiten Generation zwar ab, ist aber immer noch feststellbar. Besonders stark ausgeprägt ist er bei Migrantinnen der Generationen 1 und 1,5, die einen Partner aus dem gleichen Heimatland haben sowie bei Migrantinnen der zweiten Generation, deren Eltern beide aus demselben Heimatland stammen.

"Die Ergebnisse machen deutlich, dass bei der Entscheidung über die Kinderzahl sowohl die von den Eltern vermittelten kulturellen Hintergründe eine Rolle spielen als auch die Einflüsse der deutschen Gesellschaft", sagt Dr. Holger Stichnoth, für die Studie verantwortlicher Wissenschaftler am ZEW. "Für die Debatte um die Einwanderung bedeutet dies, dass die kulturelle Prägung zwar einen Einfluss hat, es aber im Zeitverlauf zu einer Anpassung des Fertilitätsverhaltens an das deutsche Niveau kommt. Warnungen vor einer 'Überfremdung' entbehren somit jeglicher Grundlage. Das Ergebnis der Studie bedeutet aber auch, dass sich die niedrige Geburtenrate in Deutschland durch Einwanderung nicht dauerhaft erhöhen lässt."

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Dr. Holger Stichnoth, Telefon 0621/1235-362, E-Mail stichnoth@zew.de