Akzeptanz der EU hängt von ihren Institutionen ab

ZEW Lunch Debate in Brüssel

ZEW Lunch Debate in Brüssel

ZEW-Ökonom Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Moderatorin Jennifer Rankin, Politikwissenschaftler Prof. Dr. König und Marcel Haag von der Europäischen Kommission (v.l.) diskutierten bei der ZEW Lunch Debate über die institutionelle Ausgestaltung der EU.

Wie zufrieden sind die Bürger/innen mit der Machtverteilung auf europäischer Ebene? Und lässt sich die Akzeptanz für die EU durch eine transparentere Gestaltung von Entscheidungsprozessen steigern? Diese Fragen standen bei der ZEW Lunch Debate zum Thema „Public Support and Institutional Reform – What is the Right Way to Go?“ am 20. Februar 2020 in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union in Brüssel zur Diskussion. Dabei zeigte sich: Die Menschen möchten ein Mitspracherecht in Europa haben, auch durch ihre nationalen Regierungen.

„Seit dem Vertrag von Maastricht ist die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur EU kontinuierlich zurückgegangen“, stellte Prof. Dr. Thomas König von der Universität Mannheim und dem Sonderforschungsbereich „Political Economy of Reforms“ bei seinem Impulsvortrag fest. Diese Beobachtung ist der Ausgangspunkt einer Studie in 13 europäischen Mitgliedsstaaten, deren zentrale Ergebnisse König den rund 70 Gästen aus Politik und Wissenschaft darlegte. In einem Experiment stellten die Wissenschaftler den Probanden/-innen verschiedene institutionelle Ausgestaltungen der EU vor und baten sie jeweils um eine Bewertung. „Die Bevölkerung lehnt das aktuelle Monopol der Kommission auf Gesetzesvorschläge ab“, erläuterte König.

In vielen Punkten herrscht Einigkeit unter allen untersuchten Ländern: Die Bürger/innen wünschen sich eine Beteiligung ihrer Regierungen bei Gesetzesinitiativen. Mit dem aktuellen Zweikammer-System aus Parlament und Rat bei der Gesetzgebung sind die Europäer/innen zufrieden. Außerdem befürworten sie Mehrheitsentscheidungen der Mitgliedsstaaten. Eine Entscheidungsgewalt der Kommission über Gesetze lehnt die europäische Bevölkerung hingegen deutlich ab. Unterschiedliche Ansichten treten in den untersuchten Ländern ausschließlich mit Blick auf die Kompetenzverteilung der Judikative auf: „Während in vielen Ländern die Befragten die Sanktionsgewalt bei Verletzung europäischer Gesetze beim Europäischen Gerichtshof sehen, wünschen sich Teilnehmer/innen aus Schweden, Österreich, Dänemark und Tschechien mehr Zuständigkeiten für ihre nationalen Gerichte“, erklärte König.

Europa muss nicht nur Wohlstand bieten, sondern auch transparentere Entscheidungen

Die von den Befragten bevorzugte Ausgestaltung der europäischen Institutionen unterscheidet sich von der gegenwärtigen Situation durch ein geteiltes Vorschlagsrecht von Kommission, Rat und Parlament. „Eine Reform der Gesetzesinitiative würde eine große Verbesserung der öffentlichen Meinung gegenüber dem Status Quo bewirken – sofern die EU das denn will. Dies ist eine politische Entscheidung“, betonte König. „Allein die Macht des Europäischen Parlaments zu stärken, um die Legitimität und Akzeptanz der EU zu steigern, ist jedenfalls nicht das, was die Öffentlichkeit befürwortet.“

In der anschließenden Podiumsdiskussion debattierte Thomas König mit dem ZEW-Ökonomen Prof. Dr. Friedrich Heinemann und Marcel Haag von der Europäischen Kommission. Die Moderation übernahm Jennifer Rankin, Brüssel-Korrespondentin der britischen Tageszeitung The Guardian. Haag wandte mit Bezug auf den Vortrag ein, dass die Zustimmung zur EU seit dem Brexit-Votum der Briten insbesondere in Ländern wie Schweden und Polen ansteige. Zudem wies er darauf hin, dass die Studie lediglich die sogenannte Input-Legitimität betrachte, also die Frage, wie transparent und demokratisch politische Prozesse sind. Der Fokus der EU habe in der Vergangenheit aber auf der Output-Legitimität gelegen, also auf dem unmittelbaren Nutzen für die Bevölkerung. „Es ging um den Mehrwert, den die Europäische Union ihren Bürgern/-innen bietet“, untermauerte Haag seinen Standpunkt. König hielt dagegen: „Das Problem mit Output-Legitimität ist, dass diese in wirtschaftlichen Krisen zurückgeht. In der Finanzkrise haben wir das auch beobachtet. Ich bin dennoch überzeugt, dass wir sowohl Zustimmung als auch Output steigern können.“ Wenn es nicht gelinge, die öffentliche Akzeptanz zu steigern, würden Entscheidungsprozesse zusehends schwieriger werden: „Der Maastrichter Vertrag verspricht mehr Transparenz. Wir sollten nicht überrascht sein, dass die Zustimmung sinkt, nachdem wir mehr als 20 Jahre lang genau das Gegenteil getan haben“, meinte König.

Fokus auf europäischem Mehrwert durch länderübergreifende Listen

Heinemann regte an, in einer weiteren Studie das Wahlsystem zum Europäischen Parlament zu untersuchen: Soll bei der Europawahl jede Stimme gleich viel zählen? Und soll es transnationale Parteilisten geben? Er bedauerte, dass das Parlament gegen den Vorschlag gestimmt habe, die durch den Brexit frei gewordenen Sitze über transnationale Listen zu vergeben. „Solche Abgeordneten hätten eine länderübergreifende Sicht auf Europa“, meinte Heinemann. „Bei den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen verteidigt das Europaparlament das derzeit vorherrschende Prinzip der Agrarsubventionen und Kohäsionsmittel. Parlamentarier stellen bei der Mittelzuwendung ihren nationalen Wahlkreis über den europäischen Mehrwert. Abgeordnete von transnationalen Listen würden sich hingegen eher fragen, ob eine Lösung wirklich vorteilhaft für alle Mitgliedsstaaten ist.“

Auch Fragen aus dem Publikum drangen in die Diskussion. Sollte nicht zuerst das Ziel der europäischen Integration bestimmt werden, bevor es an die institutionelle Ausgestaltung geht? Heinemann meinte dazu, die Entwicklung der EU hänge mit davon ab, wie ihre Institutionen ausgestaltet seien. Das Eine sei nicht unabhängig vom Anderen zu bestimmen. „Alle reden über einen europäischen Mehrwert. Dafür braucht es die richtigen Institutionen.“

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