Prof. Achim Wambach, PhD, ZEW-Präsident, zum Wettbewerb der europäischen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung und dem chinesischen Staatskapitalismus

Diesen Sommer will das Bundeskabinett seine Industriestrategie vorlegen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat dazu einen Aufschlag gemacht, der für viel kontroverse Diskussion gesorgt hat. Während an den vorgeschlagenen Instrumenten und der einseitigen Ausrichtung auf die Industrie und auf Großunternehmen Kritik geübt wurde, trat der berechtigte Anlass zur Strategie in den Hintergrund: Wie positioniert sich Europa mit seiner marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung gegenüber dem Staatskapitalismus in China, geprägt durch einen hohen Anteil staatseigener Unternehmen und einer hohen staatlichen Kontrolldichte der privaten Wirtschaft? Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage lohnt es sich, drei Stränge der Diskussion zu trennen.

Ob der Einsatz der Technologie von Huawei im 5G-Netzwerk oder der Kauf von Anteilen am Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz durch ein chinesisches Unternehmen ein Sicherheitsrisiko für Deutschland darstellt, oder eben nicht, ist sicher nicht nur wirtschaftlich zu beurteilen. Es fällt allerdings auf, dass in der öffentlichen Diskussion, und nicht nur in den USA, immer häufiger wirtschaftliche und sicherheitspolitische Argumente miteinander verwoben werden. Die Bundesregierung hat reagiert, indem sie die Außenwirtschaftsverordnung angepasst hat und nun bei Beteiligungen ausländischer Käufer von 10 Prozent und mehr prüfen kann, inwiefern diese Belange der nationalen Sicherheit betreffen. Es wäre gut, wenn bei dieser Risikoabschätzung ökonomische Kompetenzen involviert wären, da hier Abwägungen zu treffen sind, die auch wirtschaftliche Aspekte betreffen. Ist eine chinesische Investition in einen Autobahnabschnitt sicherheitspolitisch akzeptabel? Wie schaut es aus bei einem Hafen? Ohne eine Analyse der Wertschöpfungsketten wird man dies nicht vollumfänglich einschätzen können.

China als Vorreiter bei Künstlicher Intelligenz und Digitalunternehmen

Chinesische Unternehmen haben in beeindruckend kurzer Zeit eine Vorreiterrolle bei Digitalunternehmen und beim Einsatz der künstlichen Intelligenz eingenommen. Auch deutsche Unternehmen haben ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen im Bereich des Machine Learnings teilweise nach China verlagert, weil dort viele ausgebildete Computerfachleute arbeiten und der Datenzugang besser ist. Digitalunternehmen wie Tencent oder die Alibaba Group gehören mittlerweile zu den wertvollsten Unternehmen weltweit und drängen jetzt auch nach Europa. Gratulation an China. Die wirtschaftliche Dynamik, die primär dem privatwirtschaftlichen Agieren dieser Digitalunternehmen und dem guten Bildungsniveau des chinesischen Nachwuchses zuzurechnen ist, sucht ihresgleichen. Die Politik in Deutschland muss hierauf schneller reagieren als bislang, damit Deutschland die digitale Entwicklung nicht verschläft. Breitbandausbau, Investitionen in Ausbildung etwa durch neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz oder verbesserte Weiterbildungsmöglichkeiten und der Ausbau des Europäischen Binnenmarktes stehen hier auf der Agenda. Auch das Wettbewerbsrecht muss sich weiter anpassen. Mit den Überlegungen zur Weiterentwicklung des EU- und des deutschen Wettbewerbsrechts ist man auf einem guten Weg.  So beschäftigt sich die Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ unter anderem damit, wie Kooperationen zwischen Unternehmen beim Datenaustausch oder beim Aufbau von Plattformen mit mehr Rechtssicherheit in der EU einhergehen können.

Chinas Staatskapitalismus

China hat für sich die Wirtschaftsform der sozialistischen Marktwirtschaft gewählt, bei der Staatsunternehmen und durch den Staat kontrollierte Unternehmen eine dominante Rolle einnehmen. Diese Staatsunternehmen werden durch Fusionen immer mächtiger. Gab es 2003 noch 189 der Zentralregierung unterstellte Unternehmen, sind es nach einigen Megafusionen heute nur noch 97. Bekanntestes Beispiel ist die Fusion der beiden chinesischen Schienenfahrzeughersteller China North (CNR) und China South Locomotive and Rolling Stock Corporation (CSR) zur China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC), dem mit Abstand weltgrößten Unternehmen der Branche. Dieses fusionierte Unternehmen wurde von den Befürwortern der untersagten Fusion der Eisenbahngeschäfte von Siemens und Alstom als der zentrale Wettbewerber genannt.

Nun gibt es viele Stimmen  – Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der Vorstandsvorsitzende von Siemens Joe Kaeser gehören dazu  –, die davon ausgehen, auf diese Dominanz ließe sich nur mit eigenen Großunternehmen, den europäischen Champions, reagieren. Die Fakten sprechen allerdings dagegen. Die Produktivitätsgewinne in China wurden nicht in den Staatsunternehmen generiert, sondern im privaten Teil der Wirtschaft. Die Hoffnung an die großen Staatsunternehmen, durch das Schaffen von Größe Skalenvorteile zu erwirtschaften und die Profitabilität zu steigern, hat sich bisher nicht erfüllt. Stattdessen sind die Schuldenstände dieser Unternehmen auf bedrohliche Höhen angestiegen. Und für Europa und die USA liegt überzeugende Evidenz vor, dass Fusionen zu weniger Innovationen führen, etwa weil Forschungsabteilungen zusammengelegt und dabei verkleinert werden.

Die Lehrbücher, die sich für den Wettbewerb als führendes Marktprinzip aussprechen, da durch ihn am ehesten Innovationen hervorgebracht werden und damit der Wohlstand erhöht wird, müssen also nicht umgeschrieben werden. Eine Lähmung der Markt- und Innovationsdynamik Europas durch das Schaffen von Champions auf Kosten des Wettbewerbs wäre aus volkswirtschaftlicher Sicht die falsche Antwort auf China.

Es wird sich zeigen, wie sich die Abwägung zwischen privater Unternehmensdynamik und staatlicher Unternehmensführung in China entwickeln wird. Es irritiert, wenn chinesische Unternehmen fusioniert werden, um „unnötigen Wettbewerb“ auszuschalten. Wenn sich diese Entwicklung erhärtet, sollten deutsche Unternehmen bei ihrem Agieren in China darauf reagieren können. Ein Instrument dafür gab es schon einmal. Bis Ende der 1990er Jahre waren Exportkartelle erlaubt. Diese wurden abgeschafft mit der Begründung, „dass angesichts der Bestrebungen, weltweit staatliche und private Wettbewerbsbeschränkungen abzubauen, Ausfuhrkartelle keine Existenzberechtigung mehr haben.“ Falls China sich für eine nicht-wettbewerbliche Marktform entscheidet, gibt es gute Gründe, dieses Instrument zu reaktivieren.

Der Kauf europäischer Unternehmen durch chinesische Unternehmen sollte dann auch jeweils so betrachtet werden, dass dies nicht unabhängige Erwerbsvorgänge einzelner Unternehmen sind, sondern von einem (staatlichen) Unternehmen erfolgen. Wenn unter dieser Prämisse Wettbewerbsprobleme vorliegen, sollten die Wettbewerbsbehörden intervenieren können. Liegen Sicherheitsprobleme vor, sollte eine Risikoabschätzung erfolgen. Ansonsten sollte man die Käufe ruhig zulassen. Deutschland ist mit seinen offenen Märkten sehr gut gefahren. Ausländisches Kapital und ausländische Expertise tun den Unternehmen und auch der deutschen Wirtschaft in der Regel gut.

Derzeit werden weitere Instrumente diskutiert, die zur Lösung spezifischer Probleme, bedingt durch Chinas Vorgehen in der Weltwirtschaft, beitragen können, die aber keine unmittelbare wirtschaftspolitische Antwort auf den Staatskapitalismus sind und in Folge von gemeinsamen Abkommen möglicherweise überflüssig würden. So könnten etwa Grenzausgleichsabgaben dafür Sorge tragen, einen etwaigen Wettbewerbsvorteil chinesischer Unternehmen aufgrund laxerer Umweltstandards zu kompensieren. Europäische Anti-Dumping-Instrumente könnten geschärft werden, um eine zu aggressive Preissetzung durch chinesische Unternehmen zu sanktionieren. Das Investitionsabkommen, das die EU seit nunmehr sechs Jahren mit China verhandelt, sowie ein Handelsabkommen als ein weiterer Schritt wären zu begrüßen und könnten diese Aspekte berücksichtigen. Aber auch ohne Abkommen ist Europa nicht machtlos, um im Wettbewerb mit einem Staatskapitalismus zu bestehen.


Dieser Beitrag ist zuerst in gekürzter Fassung am 26. Juni 2019 in der "Rheinischen Post" erschienen.