„Zukunftsquote“ als Indikator für einen zukunftsorientierten Finanzhaushalt
ZEW Lunch Debate in BrüsselLunch Debate in Brüssel zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU
Der nächste Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) muss die Mittel der EU stärker auf die großen europäischen Herausforderungen von Verteidigung über Energietransformation und Klimapolitik bis hin zur Wettbewerbsfähigkeit ausrichten. Außerdem soll der MFR den Mitgliedstaaten helfen, ihre Politik stärker zukunftsorientiert zu gestalten. Die Fragen, wie der MFR diesen Erwartungen gerecht werden kann und wie die reformierte europäische Governance die Zukunftsorientierung der Haushaltspolitik voranbringen kann, standen im Mittelpunkt der ZEW-Lunch Debate am 13. November 2025.
Analytischer Ausgangspunkt war eine neue ZEW-Studie, vorgestellt von Ökonom Albrecht Bohne, welche die Zukunftsorientierung in den Haushalten der EU-Mitgliedstaaten beleuchtet. Die Analyse nutzt den vom ZEW entwickelten Indikator „Zukunftsquote“ und wendet ihn auf EU- und EFTA-Staaten an. Im Panel diskutierte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann mit Benedicta Marzinotto, Mitglied des European Fiscal Board, Andreas Schwarz, Kabinettchef von EU-Kommissarin Ekaterina Zaharieva und Zsolt Darvas, Senior Research Fellow bei Bruegel und an der Corvinus-Universität Budapest. Die Veranstaltung mit rund 100 Gästen fand in der Ständigen Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union in Brüssel statt und wurde mit freundlicher Unterstützung durch die Strube Stiftung ermöglicht.
In seinem Grußwort ging Hausherr Bodo Lehmann, Leiter der Landesvertretung, am Beispiel Baden-Württemberg auf Reformansätze zu einer stärker wirkungsorientierten Haushaltsführung im Bereich des Green Budgeting ein. Jens Strube, Geschäftsführer der Strube Stiftung, erläuterte die Förderintentionen seiner Stiftung, die darin bestehen, für eine bessere Informationsgrundlage in privaten und gesellschaftlichen Entscheidungen zu sorgen.
Im Anschluss daran stellte Albrecht Bohne, Ko-Autor der Studie zu „Future Oriented Public Spending in the EU“, zentrale Resultate aus dieser wissenschaftlichen Arbeit vor. Die „Zukunftsquote“ in den öffentlichen Ausgaben gibt Aufschluss darüber, welcher Anteil der staatlichen Ausgaben in zukunftsorientierte Bereiche fließt. Anhand von EU-weiten Vergleichen zeigte Bohne, wie stark sich die Zukunftsorientierung der öffentlichen Finanzen zwischen den Mitgliedstaaten unterscheidet und welche Trends und Muster sich daraus ableiten lassen. So zeigten die Ergebnisse beispielsweise, dass es ein Nord-Süd- sowie ein Ost-West-Gefälle zwischen den europäischen Staaten gebe. Skandinavische und baltische Staaten, neben der Schweiz, zeigen sich besonders zukunftsorientiert. Außerdem stellte Bohne die in der Studie untersuchten Korrelationen, zum Beispiel mit Staatsverschuldung, Arbeitslosenquote sowie der Einhaltung von Fiskalregeln, näher vor. Länder mit einer hohen Staatsverschuldung seien, so Bohne, durch die Last hoher Schulden und ihre Zinslasten „gefangen“ und könnten daher nicht ihre Budgets zu zukunftsorientierten Investitionen verschieben.
Friedrich Heinemann führte im Panel einleitend aus, dass die EU über zwei zentrale Ansatzpunkte verfüge, auf eine stärker zukunftsorientierte Ausgabestruktur in den Mitgliedstaaten hinzuwirken. Die reformierten Regeln zur fiskalischen Governance und finanzielle Anreize im Rahmen des MFR könnten in diese Richtung wirken.
Zsolt Darvas (Bruegel/ Corvinus-Universität Budapest) tendierte in diesem Zusammenhang trotz aller Unvollkommenheiten zu einer positiven Beurteilung der Erfahrungen mit der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) und ihrem wirkungsorientierten Ansatz. Dieser Ansatz habe in einer Reihe von Ländern wie den baltischen Staaten und Rumänien gut funktioniert und habe Potential auch für den kommenden MFR. Auf Feldern wie der Klimapolitik stünden auch belastbare und stichhaltige Indikatoren zur Performancemessung zur Verfügung. Die Überprüfung von auf Reformen bezogenen Meilensteinen setze hingegen eine tiefgehende qualitative Analyse der Reformsubstanz voraus. Er hob positiv hervor, dass die EU sich in der kritischen Phase der Pandemie schnell auf ein solch umfassendes Instrument habe einigen können.
Benedicta Marzinotto berichtete aus den Erkenntnissen des European Fiscal Board, dass Betrachtungen der Ausgabestruktur aktuell noch eine zu geringe Aufmerksamkeit zuteilwerde. In diesem Kontext könnten Konzepte wie die ZEW-Zukunftsquote einen wertvollen Beitrag leisten. Die Ergebnisse der ZEW-Studie hätten sie nicht überrascht; diese würden sich mit ihren Beobachtungen decken, etwa in Bezug auf die Zukunftsorientierung der baltischen Staaten sowie die Handlungseinschränkung der hoch verschuldeten Nationen. Allerdings mahnte sie zur Vorsicht, nicht durch zu viele EU-Vorgaben die Autonomie der Mitgliedsstaaten zu sehr zu beschneiden. Ihrer Ansicht nach könnten im nächsten MFR insbesondere auch höhere Gelder für FuE europäische Synergien schaffen. Zudem sieht sie erhebliche Chancen in einer Ausweitung gemeinsamer europäischer Verschuldung.
Andreas Schwarz wies darauf hin, dass traditionelle Politiken zwar immer noch eine nicht unbedeutende Rolle im MFR spielen, dass aber die Anteile der „modernen Politiken“ kontinuierlich steigen. Zudem könnten Politiken wie die Kohäsion und Gemeinsame Agrarpolitik auch stärker auf neue Ziele ausgerichtet werden. Bei allen Reformideen dürfe man nicht vergessen, dass der MFR einstimmig angenommen werden müsse, so dass es eher um eine Evolution als um eine Revolution gehe. Für die Zukunft wünsche er sich einen stärkeren Fokus auf die Start-Up- und Scale-Up-Szene, um Innovation und Technologiesprünge zu fördern und den Rückstand der EU in der Gründungsdynamik innovativer Unternehmen wettzumachen.
Abschließend zeigte sich Friedrich Heinemann erfreut, dass die ZEW-Zukunftsquote als neue Maßzahl zur Haushaltsanalyse auf so großen Anklang stößt und bekundete die Bereitschaft seines Forscherteams, die Reformüberlegungen zum MFF und zu den europäischen Fiskalregeln intensiv zu begleiten.