ZEW Lunch Debate in Brüssel - "Die Kapitalmarktunion ist ein Kind der Krise"

ZEW Lunch Debate in Brüssel

Die Diskutanten auf dem Podium (v.l.): Prof. Dr. Sascha Steffen (ZEW), Natacha Valla (CEPII), Rolf Strauch (ESM), Niall Bohan (DG FISMA) und Moderatorin Laura Noonan (Financial Times).

Die Europäische Kommission will mit der Kapitalmarktunion den Kapitalbinnenmarkt bis 2019 zur Vollendung zu bringen. Ist das ohne die praktische Umsetzung einer Banken- und Fiskalunion überhaupt möglich? Und wie verträgt sich das mit der gegenwärtigen Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) zwischen Niedrigzinsen und quantitativer Lockerung? Fragen, um die es bei der ZEW Lunch Debate am 15. Juni 2016 in der Brüsseler Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der EU ging. Prof. Dr. Sascha Steffen, Finanzökonom am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), stellte in seiner Präsentation vor der Debatte heraus, dass eine Kapitalmarktunion in der Praxis Staatsanleihen als risikofreie Anlageklassen braucht. Ohne Banken- und Fiskalunion sei die weitere Integration der europäischen Finanzmärkte undenkbar – und die Staatsschuldenkrise ein Fass ohne Boden.

Die Finanzkrise 2008/2009 habe die Kapitalmärkte gespalten, die Staatsschuldenkrise ab 2011 diese Kluft weiter vergrößert. Paradebeispiel dafür sei der Markt für Staatsanleihen, bis dato der größte Kapitalmarkt und daher auch ausschlaggebend für sämtliche Finanzbewegungen in den EU-Mitgliedstaaten.  "Staatsanleihen waren eigentlich dazu da, Transaktionen zu erleichtern und Preissicherheit zu garantieren", so Sascha Steffen. Bis zur Krise. In der Folge habe der fragmentierte Markt für Staatsanleihen den weiteren Zerfall von Europas Kredit-, Aktien- und Anleihemärkten verursacht. "Eine funktionierende Kapitalmarktunion geht nicht ohne Banken- und Fiskalunion", schloss der Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" daraus. Allein der politische Wille lasse zu wünschen übrig – was umso tragischer sei angesichts unterkapitalisierter Banken in ganz Europa.

Mehr Eigenkapitalfinanzierungen sollen Banken entlasten

Mit Sascha Steffen diskutierten Niall Bohan aus der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion (DG FISMA) der EU-Kommission, Rolf Strauch, Chefökonom des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), sowie Natacha Valla von der Europäische Investitionsbank und stellvertretende Direktorin des führenden französischen Wirtschafts-Think-Tanks CEPII. Die Londoner "Financial Times"-Journalistin Laura Noonan moderierte die Veranstaltung vor gut 60 Gästen, darunter Vertreter der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments sowie von Banken, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen.

"Die Kapitalmarktunion ist ein Kind der Krise", bekannte Niall Bohan. Der Mehrwert bestehe vor allem darin, die Finanzierungspraxis in der EU auf eine breitere Basis zu stellen, konkret: Mehr grenzüberschreitendes und länderübergreifendes Eigenkapital für Unternehmen zu erschließen, um Banken dadurch zu entlasten. "Damit reduzieren wir das Ausfallrisiko und sorgen in Zukunft für Nachhaltigkeit auf den Kapitalmärkten", versicherte Bohan.

"Risikostreuung ist eine EU-Aufgabe"

Rolf Strauch konnte dem nicht widersprechen, fügte aber hinzu, dass die Stabilität der Währungsunion nicht ohne eine Kapitalmarktunion zu gewährleisten sei. "Die Kapitalmarktunion ist eine weitere Maßnahme, um Finanzierungsmöglichkeiten zu diversifizieren." Dabei komme es allerdings darauf an, privates mit öffentlichem Beteiligungskapital zu flankieren. "Risikostreuung ist eine gemeinsame Aufgabe der EU-Mitglieder", sagte Strauch.

Die derzeitigen Niedrigzinsmaßnahmen der EZB stünden der Umsetzung einer Kapitalmarktunion nicht im Wege, ergänzte Natacha Valla, im Gegenteil: Unter den gegebenen Umständen könnte sich Europa sogar als Investitionsstandort für ausländische Unternehmen empfehlen. "Derzeit herrschen sehr günstige Finanzierungsbedingungen, der Kreditmarkt ist enorm flüssig."

Vom Podium gab Laura Noonan die Debatte an das Publikum weiter. Fragen wurden laut: Wie kann die Kapitalmarktunion sichere Anlageklassen garantieren, wird es Rechtssicherheit sowohl für Investoren als auch Wagniskapitalnehmer geben und ist die kritische Rolle von Schattenbanken in der Gesamtrechnung berücksichtigt? Spannende Fragen, die auch deutlich machten, dass die Kapitalmarktunion ein thematisch enorm weites Feld ist und viele Kontroversen aufwirft.

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