Wie erfolgreich war die deutsche Wiedervereinigung wirtschaftlich? - "Die alternde Bevölkerung wird immer mehr zum Wachstums-Handicap"

Nachgefragt

Prof. Dr. Friedrich Heinemann

Vor 25 Jahren implodierte die Deutsche Demokratische Republik und machte den Weg für die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten frei. Ein gesellschaftspolitischer Traum wurde damit Wirklichkeit. Die wirtschaftswissenschaftlichen Perspektiven für das geeinte Deutschland driften allerdings bis heute je nach Denk- und Himmelsrichtung auseinander. Warum lässt die vollständige Angleichung von Ost und West immer noch auf sich warten? ZEW-Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann erklärt, woran die ostdeutsche Wirtschaft krankt, wovon sie profitieren kann und welche Rolle die Zuwanderung dabei spielt.

Politiker betonen gerne, dass mit dem Zusammenwachsen von West- und Ostdeutschland seit 1990 eine ökonomische Erfolgsgeschichte geschrieben wurde. Tatsächlich?

Es gibt viele Erfolge, die alleine schon beim Spaziergang durch die Innenstädte von Erfurt oder Leipzig ins Auge stechen: In Sachen Infrastruktur, Lebensqualität oder auch Tourismus-Attraktivität sind die neuen Länder eine Erfolgsgeschichte. Zudem ist es gelungen, einige industrielle Kerne zu beleben. Der Anteil des industriellen Sektors an der Wertschöpfung ist heute im Osten Deutschlands beispielsweise höher als in Frankreich. Dennoch müssen Ökonomen auch zum 25-Jahres-Jubiläum die Feierlaune trüben: Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt liegt in Ostdeutschland immer noch um ein Drittel unter dem Westniveau und ein weiterer Aufholprozess ist fraglich. Die stark schrumpfende und alternde Bevölkerung wird immer mehr zum Wachstums-Handicap.

Öffentliche und private Haushalte im Osten der Bundesrepublik erhalten über den Finanzausgleich und die Sozialversicherungen bis heute erhebliche Transfers. Trotzdem hinken die neuen Bundesländer den alten etwa in puncto Arbeitslosenquote und Lohnniveau seit Jahren hinterher.

Hier wiederholt sich eine Erfahrung aus anderen Föderalstaaten, die man auch bei allen europäischen Überlegungen genau beachten sollte: Hohe Transfers sind mitnichten ein Garant für ökonomische Konvergenz, sie können sogar das Gegenteil bewirken. Umfangreiche Transferzahlungen mindern den Anreiz der Empfänger, durch Innovationen für eine wirtschaftsfreundliche Standortpolitik oder durch Lohndisziplin für wettbewerbsfähige Strukturen zu sorgen. Auch ist es mit einer noch so klugen Investitionsförderung sehr schwer, schlechte Startvoraussetzungen wie etwas das Fehlen mittelgroßer und großer Unternehmen zu kompensieren.

Eine weitere Baustelle ist das Steueraufkommen im Ost-West-Vergleich. Die fiskalischen Unterschiede von neu zu alt ziehen enorme Umverteilungswirkungen nach sich. Muss der Finanzausgleich nach 2020 nicht doch um einen neuen Solidarpakt ergänzt werden?

Der Solidarpakt beruhte auf der Notwendigkeit, den neuen Bundesländern eine adäquate Infrastruktur zu finanzieren. Diese Aufgabe ist nun erfüllt, so dass das System auf die "normalen" Mechanismen des Finanzausgleichs zurückgeführt werden sollte. Der Finanzausgleich bietet eine weitgehende Kompensation für die viel geringere Steuerkraft Ostdeutschlands. Mit Ausnahme Berlins sind die neuen Länder nicht übermäßig verschuldet. Insofern ist eine Sonderbehandlung nicht mehr angeraten. Reizvoll wäre es besonders für die neuen Bundesländer, künftig in höherem Maße als bisher autonom die Höhe wichtiger Abgaben wie zum Beispiel der Einkommensteuer zu bestimmen.

Was kann künftig getan werden, um der politisch beschworenen Vision von "blühenden Landschaften" bundesweit mehr Realität zu verleihen?

Den neuen Ländern bieten sich heute durch die neuen Wachstumszentren wie Berlin oder auch Dresden und Leipzig erhebliche neue Chancen. Die Standortpolitik der Flächenländer sollte strategisch darauf setzen, von diesen Zentren stärker zu profitieren. Völlig widersinnig angesichts der sehr schlechten Demographie im Osten ist, dass hier Zuwanderung politisch oftmals auf größeren Widerstand stößt als im Westen. Würden solche Urteile vom Kopf her und nicht aus dem Bauch gesteuert, dann sollte der Osten sich eigentlich durch eine besonders große Begeisterung für jeden zuwandernden jungen Menschen auszeichnen. Und die Wirtschaftspolitik sollte bei ihrer aktuellen Regulierungswut den potenziell hohen Schaden für die neuen Länder nicht aus dem Auge verlieren: Der bundesweit einheitliche Mindestlohn etwa verhindert viel eher neue Jobs in Frankfurt an der Oder als in Frankfurt am Main.