Wenn Gesundheit zur Frage der Gerechtigkeit wird
VeranstaltungenVorsitzender des Ethikrats diskutiert mit ZEW-Präsident
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ lud das ZEW Mannheim am 14. Oktober 2025 zu einem Vortrag des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. Helmut Frister, ein. Im Anschluss diskutierte er medizinethische Fragestellungen mit ZEW-Präsident und Mitglied des Ethikrats, Prof. Achim Wambach, PhD.
Unter dem Titel „Gesundheit für alle? Ethische Überlegungen zur Verteilung knapper Ressourcen“ beleuchtete Frister ethische Fragen, die sich im Spannungsfeld zwischen individueller Gesundheitsversorgung, gesellschaftlicher Solidarität und ökonomischer Begrenzung stellen. Bei seinen einleitenden Worten betonte er, dass es ihm eine große Ehre und Freude sei, seinen Vortrag am ZEW halten zu dürfen.
Vielfache Verteilungsproblematik
Gleich zu Beginn stieg Frister mit der Feststellung ein, dass die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland seit der Jahrtausendwende rund doppelt so stark gestiegen seien wie das Bruttoinlandsprodukt. Kostentreiber seien einerseits die stetig neue Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten, aber auch der demografische Wandel – der sonst eher in Bezug auf die Rentenproblematik diskutiert würde. Er gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung auch in Zukunft fortsetzen wird. Erforderlich sei deshalb, die Gesundheitsversorgung so effizient wie möglich zu organisieren. Damit zusammen hänge aber auch, Leistungen in gewissem Maße einzuschränken, was ethische Fragestellungen und Dilemmata aufwerfe.
Eines von vielen Problemen in diesem Kontext seien Übertherapien. Das genaue Ausmaß und die Bedeutung von nicht indizierten oder zu teuer durchgeführten Therapien seien schwierig abzuschätzen. Internationale Zahlen legten nahe, dass etwa 20 Prozent der Gesundheitsausgaben für Übertherapien ausgegeben würden, für Deutschland schätze er den Anteil ähnlich hoch. Sie ließen sich nicht gänzlich eliminieren, aber man müsse sie reduzieren. Die Verantwortung dafür liege, soFrister, bei Ärztinnen und Ärzten, doch auch staatliche Instanzen seien in der Pflicht, dem entgegenzuwirken – beispielsweise, indem sie ein effizientes Kontrollsystem etablierten und keine übermäßigen finanziellen Anreize für Übertherapien zuließen.
Deutschland halte am Grundsatz fest, dass alle nötigen Behandlungen unabhängig von den Kosten verfügbar seien. Aber eine Priorisierung sei unumgänglich – bei weitem nicht nur aus Geldgründen. Am Beispiel von Organspende machte er deutlich, dass zwei Kriterien bei der Verteilung der knappen Güter grundlegend seien: einerseits die Dringlichkeit, andererseits die Erfolgsaussicht der Behandlung.
Gesundheitspolitische Dilemmata
Die anschließende Diskussion zwischen ZEW-Präsident Achim Wambach und Helmut Frister schlug eine Brücke zwischen Ethik, Ökonomie und Praxis. Achim Wambach betonte beispielsweise, dass Gesundheit ein superiores Gut sei. Wohlhabendere gäben also nicht nur proportional mehr Geld für Gesundheit aus, sondern tätigten auch relativ gesehen höhere Ausgaben dafür. Im Podiumsgespräch erörterten sie nicht nur die Rolle der gesetzlichen Krankenkassen für informierte Entscheidungen von Patienten/-innen, sondern auch Probleme bei der Abwägung, welche Patientengruppe im Zweifelsfall bevorzugt würden.
In der abschließenden Fragerunde aus dem Publikum wurden weitere Themenfelder angerissen. So gebe der Gesundheitsmarkt selbst schon Beschränkungen vor, beispielsweise wenn es für seltene Krankheiten aufgrund von mangelnder Rentabilität kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt. Unter anderem wurde auch darauf hingewiesen, dass die Gesundheitskosten nicht zwingend mit dem Alter als eher mit der Nähe zum Tod stiegen. Auch die Frage, mit welchen Faktoren man Menschen zu mehr Blutspenden motivieren könnte, wurde diskutiert.
Der angeregte Austausch mit den Experten wurde auch beim anschließenden Umtrunk, der mit freundlicher Unterstützung des ZEW-Förderkreises ermöglicht wurde, weiter fortgeführt.