Warum ist Deutschland für ausländische Fachkräfte wenig attraktiv? Deutschland braucht eine Willkommenskultur

Nachgefragt

Verschiedene Maßnahmen, die Deutschland für dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland attraktiv machen sollten, blieben weitgehend ohne Erfolg. Dr. Holger Bonin, Arbeitsmarktexperte am ZEW, erläutert, was die Unternehmen auch ohne staatliche Kampagnen tun können, um Fachpersonal aus dem Ausland zu gewinnen.

Dr. Holger Bonin promovierte nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre im Jahr 2000 an der Universität Freiburg. Nach Tätigkeiten am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist Bonin seit dem Jahr 2007 Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung" am ZEW. Bonin untersucht unter anderem die Beschäftigungsprobleme von Geringqualifizierten, die Flexibilität von Löhnen, die ökonomischen Folgen von gesellschaftlicher Alterung und Migration sowie die Risikobereitschaft von Arbeitnehmern.

Vielen Staaten gelingt es, ausländische Arbeitskräfte in den eigenen Arbeitsmarkt zu integrieren und somit von der Produktivität der ausländischen Fachkräfte zu profitieren. Warum tut sich Deutschland damit so schwer?

Zunächst einmal haben wir viel zu lange das Signal ausgesendet, kein Zuwanderungsland zu sein. Und selbst heute noch ist die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte als Mittel zur Fachkräftesicherung in Politik wie Gesellschaft beileibe nicht unumstritten. Angesichts dessen werden die Verbesserungen der Zuwanderungsmöglichkeiten für Hochqualifizierte, die Deutschland in letzter Zeit umgesetzt hat, im Ausland noch zu wenig wahrgenommen. Hinzu kommen Faktoren wie die international gesehen niedrigen Spitzeneinkommen, die Steuer- und Abgabenlast und die Sprachhürde. Die Chancen, ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu locken, werden derzeit allerdings besser. Das im Ausland viel diskutierte deutsche Jobwunder wirkt hier wie ein Magnet.

In großen Unternehmen existieren häufig sogenannte Diversity-Richtlinien, die das Zusammenarbeiten von ausländischen Arbeitskräften mit hiesigem Personal vereinfachen und Diskriminierung verhindern sollen. Tragen solche Anstrengungen Früchte?

Das kann man immer nur im Einzelfall beurteilen. In der Tendenz tun sich Großunternehmen aber leichter, ein wirksames Diversity Management zu betreiben. Dies ist ein komplexer Prozess. Ein glaubwürdiges Bekenntnis zur Vielfalt und eine strategische Vorgabe der Unternehmensleitung allein genügen dafür keineswegs. Um Erfolg zu haben, müssen die Beschäftigten Diversity-Richtlinien durch alltagsfähige Ideen und bewusstes Handeln mit Leben füllen. Wer sich, wie etwa viele DAX-Unternehmen, einen Diversity-Manager leisten kann, bewältigt die Weiterbildung der Mitarbeiter und die Kontrolle von Fortschritten bei den gesetzten Zielen natürlich leichter.

Das Sorgenkind sind also die mittelständischen Unternehmen?

In der Tat. Zu oft setzen die Inhaber vor allem auf effiziente Produktion, während relativ wenig Mittel für Personalmanagement und -marketing bereitstehen. Darüber hinaus entfallen hier beim Diversity-Management mögliche Skalenvorteile. Daher braucht es zum einen mehr Information, damit Mittelständler die Vorteile einer Willkommenskultur besser erkennen. So kann eine gute Integration ausländischer Fachkräfte helfen, im Wettbewerb um die besten Köpfe gegen die Konzerne besser zu bestehen und internationale Märkte zu erschließen. Zum anderen geht es darum, durch Zusammenarbeit Kosten zu senken. Zu denken ist etwa an Verbünde zur gemeinsamen Rekrutierung im Ausland. Ferner könnten die Mittelständler einer Region interkulturelle
Trainings für ihre Mitarbeiter bündeln.

Kann sich eine positive betriebliche Willkommenskultur überhaupt losgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Umfeld entwickeln?

Nicht sehr gut. Darum sollte ein nationales Diversity Management die Anstrengungen der Unternehmen unterstützen. Der unverzichtbare erste Schritt hierzu wäre ein klares und authentisches Bekenntnis der Politik, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist, das aktiv darauf hinarbeitet, Migranten in ihrer Verschiedenartigkeit zu respektieren und zu integrieren. Das allein genügt natürlich nicht: Ein offener Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen und den Bürgerinnen und Bürgern muss folgen, um dieses Leitbild in konkrete Initiativen zu übersetzen,
damit sich ausländische Fachkräfte bei uns wirklich willkommen fühlen.