Standpunkt von ZEW-Präsident Achim Wambach

ZEW-Präsident Achim Wambach zu den wirtschaftlichen Herausforderungen einer kommenden Regierung.

Nach 16 Jahren mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin steht Deutschland, gemessen am Bruttoinlandsprodukt oder der Arbeitslosenquote, wirtschaftlich sehr gut da. Allerdings ist dies eine Momentaufnahme. Der Reformbedarf ist gewaltig; die kommende Regierung hat viel zu tun. Sie hat aber durch eine neue Zusammensetzung politischer Kräfte die einmalige Chance, Friktionen aufzubrechen und Märkte neu zu ertüchtigen, um die für den Wandel notwendigen Innovationen und Anpassungen zu ermöglichen.

Eine zentrale Aufgabe für die neue Regierung wird der Aufbau einer modernen und emissionsarmen Mobilität sein. Als problematisch erweist sich schon heute, dass das deutsche Bahnsystem vermachtet ist. Im Fernverkehr etwa hat ein Unternehmen – die Deutsche Bahn AG – einen Marktanteil von mehr als 95 Prozent. Damit dies nicht so bleibt und mehr Wettbewerb in diesen Markt einzieht, ist eine Trennung der Schieneninfrastruktur vom restlichen DB-Konzern ein wichtiger Schritt. Wettbewerbsverzerrungen, insbesondere solche durch Diskriminierungen durch den Netzbetreiber, würden so verhindert werden. Der Zeitpunkt ist günstig: Die FDP befürwortet diesen Schritt in ihrem aktuellen Wahlprogramm, bei den Grünen war dies Teil des Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2017.

Mit dieser Auftrennung einhergehen sollte der Verkauf der Anteile des Bundes an den Fahrbetrieben der Deutschen Bahn AG sowie an weiteren für den Strukturwandel wesentlichen Unternehmen. Neben der Deutschen Bahn, bei der der Bund mit 100 Prozent beteiligt ist, sind dies insbesondere die Deutsche Telekom und die Deutsche Post mit 31,9 Prozent bzw. 20,5 Prozent Beteiligung der öffentlichen Hand. Diese Miteigentümerschaft führt immer wieder zu Interessenskonflikten und Wettbewerbsverzerrungen. Wer begibt sich freiwillig in den Wettbewerb in einem regulierten Markt, bei dem der Regelsetzer gleichzeitig als Akteur tätig ist? Deshalb ist es konsequent, wenn sich die FDP in ihrem Wahlprogramm für diesen Verkauf ausspricht. Die Grünen sind skeptischer, zumindest hinsichtlich der Unternehmen, die für die Daseinsvorsorge wesentlich sind. In einem Markt mit einem funktionierenden Wettbewerb ist allerdings die Notwendigkeit einer aktiven Beteiligung der öffentlichen Hand nicht gegeben, was noch mehr dafür spricht, zunächst die Wettbewerbstauglichkeit des Marktes sicherzustellen. Hinzu kommt, dass der Verkauf auch attraktiv sein kann, um Finanzierungsengpässe zu überbrücken.

Im Zentrum der Energiewende steht der Strommarkt. Für den notwendigen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sowie für das Ausrollen von Speichertechnologien fehlen allerdings Preissignale zur Standortwahl. Mit einem seit langem stockenden Netzausbau ist ein Stromnetz ohne Engpässe illusionär – effizient wäre es auch nicht. Damit wird die Frage umso wichtiger, welchen Standort Stromanbieter für ihre Wind- und Solarkraftwerke wählen und wo Unternehmen ihre Betriebsstätten
ansiedeln, die dann diesen Strom nachfragen. Damit solche Entscheidungen die Engpässe des Stromnetzes berücksichtigen, bieten sich auch in Deutschland sogenannte Knotenpreise an, wie es sie seit mehr als 20 Jahren in den USA gibt. Bei diesem System sind an den Stromnetzknoten regional unterschiedliche Preise möglich: Sie sind dort niedriger, wo reichlich Strom vorhanden ist, und höher, wo wenig Strom vorhanden ist, aber eine hohe Stromnachfrage herrscht. Regionale Preise sollten für Grüne und FDP attraktiv sein: In ihrem Fraktionsbeschluss vom April 2021 sprechen sich die Grünen dafür aus, „perspektivisch die Einführung von Preiszonen oder von Knotenpreisen vorzubereiten“. In einer Frage an die Bundesregierung im Juni dieses Jahres stellt die FDP einen Umstieg auf ein Knotenpreissystem als eine passende Lösung für Netzengpässe dar.

Als Oppositionsparteien haben Grüne und FDP häufig den Finger auf die Wunde gelegt, wo Märkte gehemmt sind und Unternehmensdynamik ausgebremst wird. Jetzt ist der Zeitpunkt, diese Überlegungen in politisches Handeln umzusetzen.