Folgen der Finanzkrise für den deutschen Arbeitsmarkt - Die Hartz-Reformen müssen weiter entwickelt werden

Nachgefragt

Die Finanzkrise weitet sich zu einer Wirtschaftskrise aus. Mit der Automobil- und Zulieferindustrie drosselt eine der deutschen Schlüsselindustrien ihre Produktion. Der Stahl- und Bauindustrie brechen die Aufträge weg und auch in anderen Branchen ist der Abschwung angekommen. Damit droht der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland zu einem abrupten Ende zu kommen. Dr. Holger Bonin, Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung" am ZEW spricht über die Folgen der Wirtschaftskrise für den deutschen Arbeitsmarkt und nimmt Stellung zu verschiedenen Möglichkeiten, dem Beschäftigungsabbau entgegenzuwirken.

Dr. Holger Bonin, Jahrgang 1968, promovierte nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre im Jahr 2000 an der Universität Freiburg. Nach Tätigkeiten am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist Bonin seit dem Jahr 2007 Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung" am ZEW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der angewandten empirischen Arbeitsmarktforschung. Bonin untersucht unter anderem die Beschäftigungsprobleme von Geringqualifizierten, die Flexibilität von Löhnen, die ökonomischen Folgen von gesellschaftlicher Alterung und Migration sowie die Risikobereitschaft von Arbeitnehmern. Er ist Mitglied des Bevölkerungswissenschaftlichen Ausschusses im Verein für Socialpolitik.

Die Arbeitslosenstatistik der Agentur für Arbeit sieht mit 3,1 Millionen Arbeitslosen im Dezember 2008 immer noch recht gut aus. Wird der drohende Wirtschaftsabschwung die Arbeitslosenzahlen wieder auf frühere Höhen steigen lassen?

Dass die Arbeitslosigkeit 2009 spätestens in der zweiten Jahreshälfte kräftig steigen wird, scheint angesichts der konjunkturellen Schockwellen, die die Finanzkrise ausgelöst hat, unausweichlich. Allerdings kann niemand heute verlässlich sagen, wie tief die Krise noch wird, und vor allem, wie lange sie andauern sind. In der schlechten Stimmung bei den deutschen Unternehmen steckt derzeit auch eine ganze Menge Verunsicherung darüber, wie es an den Finanzmärkten weiter geht. Man sollte auf jeden Fall nicht vergessen, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland beim Ausbruch der Krise in einer sehr hervorragenden Verfassung war. Die Arbeitslosigkeit war im letzten Jahr so niedrig wie seit fast 20 Jahren nicht.

Welche Segmente des deutschen Arbeitsmarkts sind besonders bedroht?

Die internationale Finanzkrise hat die deutschen Ausfuhren dramatisch einbrechen lassen. Besonders bedroht ist also das Personal in den exportstarken Unternehmen. Dies sind häufig spezialisierte Mittelständler im Hochtechnologiesegment. Daher betrifft die Krise Fachkräfte in besonderem Maße. Das Schlagwort vom Ingenieurmangel dürften wir in Zukunft seltener hören. Darüber hinaus sind natürlich die Beschäftigten der unmittelbaren Auslöser der Krise, also der Banken, betroffen. Auch in der Automobilbranche ist in nächster Zeit mit einem Arbeitsplatzabbau zu rechnen. Dies ist allerdings Ausdruck einer Nachfrageschwäche, die sich schon länger abzeichnete, und nun durch die Finanzkrise verstärkt wird.

Die Hartz-Reformen der letzen Jahre haben durch verschiedene Maßnahmen wie etwa die Förderung der Zeitarbeit den Arbeitsmarkt flexibler gestaltet. Das heißt, Unternehmen können in prosperierenden Phasen schneller Arbeitskräfte einstellen, diese aber auch in schlechten Zeiten schneller kündigen. Wird diese Flexibilisierung vielen Menschen in der jetzigen Situation zum Verhängnis?

Von Verhängnis sollte man nicht sprechen. Die Flexibilisierung am deutschen Arbeitsmarkt hat überhaupt erst dafür gesorgt, dass so viele Menschen beschäftigt sind wie lange nicht. Dass es vielen besser geht, zeigt nicht zuletzt der private Konsum, der trotz Finanzkrise in Deutschland nach wie vor stabil läuft. Das ist ein Erfolg der Flexibilisierung. Der andere Erfolg der Flexibilisierung ist, dass die Menschen, die heute aus konjunkturellen Gründen arbeitslos werden, die Aussicht haben, eine neue Beschäftigung schneller zu finden als früher. Seit den Reformen hat sich die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit nahezu halbiert.

Dr. Holger Bonin, Jahrgang 1968, promovierte nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre im Jahr 2000 an der Universität Freiburg. Nach Tätigkeiten am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist Bonin seit dem Jahr 2007 Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung" am ZEW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der angewandten empirischen Arbeitsmarktforschung. Bonin untersucht unter anderem die Beschäftigungsprobleme von Geringqualifizierten, die Flexibilität von Löhnen, die ökonomischen Folgen von gesellschaftlicher Alterung und Migration sowie die Risikobereitschaft von Arbeitnehmern. Er ist Mitglied des Bevölkerungswissenschaftlichen Ausschusses im Verein für Socialpolitik.Der französische Staatspräsident hat ein staatlich gefördertes Beschäftigungsprogramm für sein Land angekündigt, das darauf abzielt, die öffentlich bezuschussten Stellen aufzustocken. Hierzulande wird das Kurzarbeitergeld in Zukunft länger ausgezahlt. Sind solche Maßnahmen zielführend, wenn es darum geht, dem Beschäftigungsabbau in großem Stil entgegenzuwirken?

Von staatlichen Beschäftigungsprogrammen halte ich nichts. Egal wie man es macht, Lohnsubventionen bergen immer die Gefahr von Mitnahmeeffekten. Der Gewinn an Beschäftigung steht deshalb in keinem angemessenen Verhältnis zu den Kosten. Auch bei der Verlängerung des Kurzarbeitergelds bin ich skeptisch. Diese Leistung macht Sinn, um kurzfristige Auslastungsschwankungen in den Unternehmen zu überbrücken. Wir wollen kein Hire and Fire. Wenn man aber das Kurzarbeitergeld zu lange zahlt, verschleiert es letztlich nur die Arbeitslosigkeit. Wenn der Staat in der aktuellen Situation Beschäftigung fördern will, sollte er dies mit gezielten Investitionen in Bildung und Infrastruktur tun. Diese entzünden nicht einfach ein konjunkturelles Strohfeuer, sondern sie bringen Deutschland nachhaltig auf einen höheren Wachstumspfad.

Verschiedentlich wird auch die These aufgestellt, dass durch die Arbeitsmarktreformen die Beschäftigungsschwelle in Deutschland abgesenkt worden sei. Entstehen hierzulande tatsächlich neue Stellen bei einem deutlich geringeren Wirtschaftswachstum als früher?

Es ist etwas zu früh, um dies empirisch abschließend zu beurteilen. Das ZEW hat aber vor kurzem in einer Studie die so genannte NAIRU, also die inflationsstabile Arbeitslosenquote, als Maß für die Beschäftigungsschwelle geschätzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Beschäftigungsschwelle in den letzten drei Jahren ganz beträchtlich gesunken ist. Wegen der zeitlichen Übereinstimmung liegt es nahe, diesen Erfolg den Arbeitsmarktreformen zuzuschreiben.

Welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wären angesichts der aktuellen Krise sinnvoll, um die Beschäftigungssituation in Deutschland auf stabilem Niveau zu halten?

Es kann nicht gelingen, im konjunkturellen Abschwung einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Das Schlimmste, was die Politik in dieser Situation tun kann, ist, den Arbeitsmarkt wieder stärker zu regulieren, auch wenn dies momentan populär ist. Sinnvoller wäre es, die Hartz IV-Reform der letzten Jahre weiter zu entwickeln. Eine eben erschienene ZEW-Studie zeigt zum Beispiel, dass die nicht verfassungskonformen ARGEn - also gemeinsame Einrichtungen der örtlichen Agenturen für Arbeit und der Kommunen - bessere Vermittlungserfolge erzielen, als wenn kommunale Träger allein für die Langzeitarbeitslosen zuständig sind. Dieselbe Studie zeigt, dass bei der Betreuung und Vermittlung der Hilfeempfänger nach wie vor vieles verbessert werden muss. Mit einer besseren Arbeitsverwaltung würde die konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit etwas an Schrecken verlieren.