Das EZB-Zielsystem: angemessene Ausdifferenzierung oder Überfrachtung?

Workshop

ZEW-Workshop zum Wandel der Ziele von Zentralbanken

Friedrich Heinemann (links) und Karolin Kirschenmann bei der Eröffnung des EZB-Workshops am ZEW.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Europäische Zentralbank (EZB) zunehmend mehr Aufgaben übernommen. Von der Bankenaufsicht bis zu der Debatte um Green Finance ist der Themenbereich der EZB über das klassische Ziel der Preisstabilität hinausgewachsen. Ist die EZB mit ihren aktuellen Aufgaben überfrachtet oder ist der Aufgabenzuwachs eine angemessene Antwort auf die wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit? Zu diesen Fragen veranstaltete das ZEW Mannheim am 31. Mai 2022 einen ganztägigen Workshop mit Unterstützung der Strube Stiftung.

Renommierte Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Journalismus, Politik und (Zentral-)Bankwesen diskutierten hierzu in vier Panels zum Wandel der Ziele von Zentralbanken. Den Auftakt zur Veranstaltung setzte Jürgen Strube für die Strube Stiftung. Er betonte die Bedeutung von stabiler Geldpolitik für das Leben der Menschen und die Wirtschaft. Er berichtete von prägenden eigenen Erfahrungen, die er in der hochinflationären Phase in Brasilien während seiner Zeit bei der BASF SE sammelte.

Rolle der EZB bei europäischer Geld- und Klimapolitik

Im Anschluss wurde im ersten Panel die Entwicklung der Ziele und Zuständigkeiten der EZB diskutiert. Katrin Assenmacher (EZB) lieferte einen kurzen Überblick über verschiedene Phasen in der europäischen Geldpolitik, die sich an das dynamische Weltgeschehen anpasst habe. Ihrer Aussage zufolge sei das primäre Ziel der Preisstabilität seit der Euro-Einführung weitestgehend erreicht worden. Größere Diskussionen gab es über die Rolle der EZB in der Bekämpfung des Klimawandels. Während die Analyse von Klimarisiken im Rahmen des geldpolitischen Mandats und der Bankenaufsicht als angemessen betrachtet wurde, warnten Ulrike Neyer (Universität Düsseldorf) und Hans Peter Grüner (Universität Mannheim) vor einer zu weiten Auslegung des Mandats der EZB im Bereich Klimawandel. Jan Kemper (ZEW) ergänzte die Debatte mit neuen empirischen Forschungsergebnissen, die zeigen, dass die Debatte um den Klimawandel eine zunehmend wichtige Rolle in den Reden der EZB-Ratsmitglieder einnimmt. Katrin Assenmacher stellte in der Diskussion klar, dass Klimapolitik nicht zum Zielsystem der EZB gehöre, die EZB aber auch nicht die Politik der EU konterkarieren dürfe.

Ausgestaltung der Zentralbank-Kommunikation

Im zweiten Panel wurde die Kommunikation der EZB aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert. Christian Conrad (Universität Heidelberg) zeigte, dass die Inflationsprognosen der EZB über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr kaum noch aussagekräftig seien, daher solle sie in ihrer Kommunikation nicht so prominent auf langfristige Prognosen eingehen. Ein weiterer Diskussionspunkt war das Kommunikationsformat und die inhaltliche Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit der EZB. Jörg Krämer (Commerzbank) kritisierte die komplexe Ausdrucksform in der Zentralbankkommunikation und forderte eine verständlichere Sprache. Des Weiteren wurden Entwicklungen im wissenschaftlichen Diskurs zur Zentralbankkommunikation und neue Analysemethoden diskutiert.

EZB und grüne Geldpolitik

Nachdem das Thema Klimawandel und Zentralbanken bereits im ersten Panel angeschnitten wurde, vertieften die Rednerinnen und Redner die Diskussion im dritten Panel zum Thema Grüne Geldpolitik. Aus Berlin war Sandra Detzer (Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis90/Die Grünen) zugeschaltet. Sie unterstrich die Rolle von fossilen Energieträgern in der aktuellen Inflationsentwicklung. Es herrschte im Panel weitestgehend Einigkeit darüber, dass die EZB Klimarisiken analysieren solle, allerdings keine aktive Rolle in der Bekämpfung des Klimawandels einnehmen solle. Markus Zydra (Süddeutsche Zeitung) warnte vor einer rhetorischen Klimafokussierung, die unerfüllbare Erwartungen an die Institution erwecke und damit langfristig dem Vertrauen in die EZB schade. Karolin Kirschenmann (ZEW) betonte, dass der Begriff „Grüne Geldpolitik“ irreführend sei und neutralere Bezeichnungen besser die Rolle der EZB beschreiben würden. Jan Pieter Krahnen (Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE) hob hervor, dass Eingriffe der EZB auf effizienten Kapitalmärkten keine wirksamen Ergebnisse erzielen könnten.

Risiko fiskalische Dominanz?

Friedrich Heinemann (links) beim Impuls-Vortrag des vierten Panels mit Adalbert Winkler (Mitte) und Christian Siedenbiedel (rechts).

Das letzte Panel beschäftigte sich näher mit der Debatte um die sogenannte fiskalische Dominanz. Diese Diskussion beschäftigt mit der Frage, ob der Handlungsspielraum der EZB aufgrund der fragilen Staatshaushalte einiger Euro-Staaten gefährdet sei. Friedrich Heinemann (ZEW) präsentierte Forschungsergebnisse, wonach die EZB-Anleihekäufe in der Pandemie tatsächlich auch im Vergleich zu den fiskalischen Hilfen der EU entscheidend für die Eindämmung der Spreads – den Rendite-Differenzen – bei den Staatsanleihen gewesen sind. Dies lege nahe, dass die Stabilität der Anleihemärkte stark von der EZB abhängig geworden sei. Adalbert Winkler (Frankfurt School of Finance and Management) befasste sich mit der finanziellen Dominanz, der möglichen Einengung des geldpolitischen Handlungsspielraums aufgrund von Systemrisiken im Banken- und Finanzmarkt. Er sah noch keine Gefahr einer finanziellen Dominanz in der Eurozone, was er daran festmachte, dass die EZB einen parallelen Kurs zu vergleichbaren Notenbanken führe. Abschließend fasste Friedrich Heinemann die Ergebnisse des Workshops folgendermaßen zusammen: Insgesamt gäbe es eine große Vorsicht gegenüber einer Zielausdehnung der EZB, aber auch sehr unterschiedliche Sichtweisen, ob bereits ein problematischer Bereich erreicht wurde.

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Magnitudes and Capital Key Divergence of the Eurosystem’s PSPP/PEPP Purchases – Update June 2022

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