Das Ringen um die sozial-ökologische Marktwirtschaft

Standpunkt

ZEW-Präsident Achim Wambach zum Ringen um die sozial-ökologische Marktwirtschaft

Die Bundesregierung hat sich für diese Legislaturperiode Gewaltiges vorgenommen – sie will das Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik hin zu einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ ändern. Die Bausteine dazu entstehen bereits, die Ausrichtung scheint aber noch völlig offen zu sein.

In einem vielfach geteilten Video vom 21. August 2022 berichtet Robert Habeck, Minister des neu zugeschnittenen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, über die Klimaschutzmaßnahmen, die die Regierung in den letzten sechs Monaten auf den Weg gebracht hat. Besonders erwähnt er dabei: Erleichterungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Ausbau von Windanlagen und des Stromnetzes; Ausbau-Flächenziele für die Länder; Verpflichtung beim Heizungsaustausch in neuen oder bestehenden Gebäuden zu Anlagen, die mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden sowie Genehmigung der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze zum Um- und Neubau von Wärmenetzen durch die Europäische Kommission.

Die Erleichterungen bei Genehmigungen eröffnen den Unternehmen neue Spielräume, Investitionen in Erneuerbare Energien und Stromnetze zu tätigen. Ansonsten lassen die berichteten Ziele, Auflagen, und Förderungen marktwirtschaftliche Elemente missen. Dabei hätte es auch dazu einiges zu berichten gegeben – und einiges mehr wäre notwendig.

Ein zweiter Emissionshandel für Europa

Habeck nennt zwar das Europäische Programm „Fit for 55“ und die darin formulierten sehr ambitionierten Klimaschutzvorgaben. Keine Erwähnung fand hingegen die europäische Initiative für einen zweiten europäischen Emissionshandel für die Treib- bzw. Brennstoffversorgung in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Doch gerade die damit einhergehenden CO2-Preise sind wesentlich für die sozial-ökologische Marktwirtschaft.

Es gibt wohl kaum eine Erkenntnis, bei der Ökonomen so einhellig einer Meinung sind wie bei dieser: Der CO2-Preis ist das wichtigste Instrument für eine effiziente Klimapolitik. 2019 forderten mehr als 3.500 amerikanische Ökonomen einen solchen Preis. Ein Aufruf der Europäischen Vereinigung der Umweltökonomen zum selben Thema wurde von rund 1.800 Wissenschaftlern unterzeichnet.

Preise sind das Lenkungsinstrument einer Marktwirtschaft. Und während die Sozialpolitik häufig an Ergebnissen des wirtschaftlichen Handelns – Löhne und Einkommen – mit Steuern und Sozialabgaben ansetzt, muss das „Ökologische“ in der sozial-ökologischen Marktwirtschaft anders auf die Wirtschaft einwirken. Klimapolitik setzt nicht an den Marktergebnissen an, sondern an Produktionsprozessen und -technologien. CO2-Preise sind dazu das marktwirtschaftliche Instrument  – klimaschädliche Handlungen werden teurer, sauberere Handlungen relativ billiger – und sie bewirken, dass emissionsreduzierende Schritte effizient erfolgen: CO2-Einsparmaßnahmen erfolgen dann nämlich dort, wo sie bei gleicher Wirkung am günstigsten sind.

Regulative Eingriffe oder Subventionen können nicht dieselbe Wirkung entfalten wie die CO2-Preise. Denn diese Preise setzen dort an, wo die Verschmutzung entsteht – durch alle Lieferketten hindurch, während regulative Eingriffe immer nur einzelne Phänomene herausgreifen.

Ein klares Bekenntnis zum zweiten Emissionshandel in der EU wäre hilfreich. Der momentan verhandelte zweite Emissionshandel ist nicht unumstritten. Er führt zu höheren Preisen für Benzin, Diesel, Heizöl und Heizgas und viele Verantwortliche scheuen die damit einhergehende Belastung der Haushalte. Eine Verteuerung fossiler Brennstoffe aus klimapolitischen Gründen wird aber unvermeidbar sein. Auch Verbote und Auflagen sind schließlich nichts anderes als (sehr) hohe Preise für das verbotene Verhalten. Vulnerable Haushalte brauchen deshalb so oder so Formen der Kompensation. Die Einnahmen aus dem Emissionszertifikatehandel könnten dazu genutzt werden. 

Differenzierte Preise für die Energiewende

Habeck betont in seiner Videobotschaft den notwendigen Ausbau des Stromnetzes und der erneuerbaren Energien als wesentliche Transformatoren. Beides leidet jedoch auch darunter, dass fehlende Preiselemente den Verbrauchern die Illusion geben, einen einheitlichen Strommarkt in Deutschland zu haben. Preise, die die Engpässe im Netz berücksichtigen, brächten eine Reihe von Effizienzvorteilen. Die ökonomisch konsequente Abbildung sind sogenannte Knotenpreise, wie sie heute schon in Teilen der USA üblich sind. Wegen der starken Erzeugung von sauberer Energie im Norden und der großen Nachfrage im Süden Deutschlands würden sie tendenziell dazu führen, dass der Strom häufig im Norden billiger wäre als im Süden. Windstrombetreiber, die auf Marktpreise reagieren, hätten also mehr Anreiz, sich im Süden anzusiedeln, selbst wenn dort weniger Wind weht. Schließlich könnten sie mehr Geld mit dem Windstrom verdienen. Gleichzeitig hätten Unternehmen einen Anreiz, sich im Norden niederzulassen, wo mehr Strom erzeugt wird und die Strompreise günstiger sind. Der Energiesektor wäre effizienter und der notwendige Netzausbau wäre geringer.

Wettbewerbliche Impulse zur Transformation der Wirtschaft

Habeck zeigt sich auch beindruckt von der erstaunlichen Dynamik in der Wirtschaft, mit der diese die Transformation angeht, und die hohe Nachfrage nach grünem Wasserstoff, die dabei generiert wird. Ob und wie diese Entwicklung nachhaltig bleiben wird, ist die Kernfrage bei der Ausrichtung der sozial-ökologischen Marktwirtschaft.

Um die Produktion von und mit grünem Wasserstoff zu fördern, sieht die Bundesregierung – neben vielen weiteren Förderprogrammen - sogenannte Klimaschutzdifferenzverträge vor. Dabei sollen Unternehmen die Kostendifferenz zwischen der Produktion eines sauberen und eines schmutzigen Guts erstattet bekommen. Da bei der Produktion des schmutzigen Gutes Ausgaben für Emissionszertifikate anfallen, sind diese Differenzverträge abhängig von der Höhe des Zertifikatpreises. Dieser Preis liegt aktuell bei etwa 90 Euro pro Tonne CO2, was die Notwendigkeit von Klimaschutzdifferenzverträgen, die erstmals in der politischen Diskussion aufgekommen sind, als der Preis noch unter 20 Euro lag, stark verringert.

Solche Verträge bieten den Unternehmen zwar langfristige Planungssicherheit und machen sie weniger abhängig von möglichen Preisschwankungen der Zertifikate. Allerdings sind gerade diese Zertifikatpreise das klimapolitische Signal für den ökologischen Umbau der Wirtschaft. Mit den Differenzverträgen bekommen die Unternehmen de facto eine Kostenerstattung, und zwar diejenigen Unternehmen, die nach Ansicht der Regierung für die Energiewende besonders wichtig sind, bzw. diejenigen, denen es gelingt, die Regierung davon zu überzeugen, dass sie wichtig sind. Einem kleinen Mittelständler fällt dies schwerer. Das Instrument sollte deshalb nur mit Vorsicht eingesetzt werden, etwa in einem wettbewerblichen Verfahren mit kurzer Förderdauer. Noch sinnvoller wäre es, die Forschungs- und Entwicklungskosten zu fördern anstatt die Produktionskosten.

Das Ringen um die Ausrichtung der sozial-ökologischen Marktwirtschaft hat begonnen. Wenn sie gut gestaltet wird, hat sie das Potenzial – ähnlich wie damals die soziale Marktwirtschaft – als Erfolgsmodell von anderen Ländern kopiert zu werden. Das ist auch notwendig, um den internationalen Klimaschutz voranzubringen. Mehr Marktmechanismen und das Vertrauen in die Entdeckungsverfahren im Markt sind dafür notwendig.

Einzelne Passagen sind dem Buch des Autors „Klima muss sich lohnen: Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen“, Herder Verlag, 2022 entnommen.