Klimaschutz ist intertemporaler Freiheitsschutz

Veranstaltungsreihen

Wirtschaftspolitik aus erster Hand mit Bundesverfassungsgericht-Präsident Prof. Dr. Stephan Harbarth

Prof. Dr. Stephan Harbarth (rechts im Bild) sprach am ZEW Mannheim über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz und seine weitreichenden Folgen

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 zum Klimaschutzgesetz gilt schon heute als historisch. Der Erste Senat attestierte dem Gesetzgeber eine unzureichende Regelung, insbesondere was die Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 angeht. Die Beschwerdeführenden seien in ihren Freiheitsrechten insoweit verletzt, als dass durch die im damaligen Klimaschutzgesetz zugelassenen Emissionsmengen bis 2030 „praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit“ der Kläger/innen im Anschluss an diese Zeit gefährdet werde. Das Gesetz wurde als für in Teilen verfassungswidrig erklärt, der jüngeren Generation wurde ein Recht darauf eingeräumt, die Folgen des Klimawandels nicht allein schultern zu müssen. Über den Beschluss und seine weitreichenden Folgen sprach der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stephan Harbarth, LL.M. (Yale), am 26. Oktober 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wirtschaftspolitik aus erster Hand am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.

Die Europäische Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) in Genf betreibt einen Teilchenbeschleuniger, in dem geladene Teilchen miteinander kollidieren. Durch die Kollisionen hofft die Grundlagenforschung in der Physik, mehr über den Aufbau der Materie zu erfahren. Im Februar 2010 war die Durchführung dieser Versuchsreihen Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Beschwerdeführerin befürchtete „die Zerstörung der Erde“ durch kleine schwarze Löcher. Zu Beginn seiner Rede am ZEW erinnerte Stephan Harbarth an eben jene erfolglose Verfassungsbeschwerde – mit gutem Grund: Elf Jahre später befasste sich das Gericht erneut mit der Frage, wann der oder die Einzelne den Schutz seiner natürlichen Lebensgrundlagen vor globalen Gefahren gegenüber dem Staat einfordern kann. Im Gegensatz zu der „Entstehung weltenvernichtender schwarzer Löcher“ seien Existenz und Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels „theoretisch hinreichend abgesichert, empirisch belegt“ und im „Wesentlichen unstreitig“, sagte Harbarth zu Beginn seiner Rede. Deshalb hätte das Gericht die Erkenntnisse der Klimawissenschaften seinem Beschluss in Sachen Klimaschutzgesetz zugrunde legen können.

Für den Beschluss ebenso grundlegend war Artikel 20a des Grundgesetzes. Den Staat treffe aus dieser verfassungsrechtlichen Grundlage eine aktive Klimaschutzverpflichtung. Harbarth betonte, für Nichtjuristen wohl überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss insoweit keinen Verstoß des Staates festgestellt habe – durch das damalige Klimaschutzgesetz sei der Gesetzgeber prinzipiell seiner Verpflichtung nachgekommen.

„Massive Freiheitsbeschränkungen nach 2030“

Allerdings habe das Gesetz gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.  Der Gesetzgeber sei dazu verpflichtet, Freiheitschancen über die Generationen verhältnismäßig zu verteilen, also bereits heute künftige Freiheit zu schonen. Das Klimaschutzgesetz hätte in seiner zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung dazu geführt, dass bis 2030 bereits ein signifikanter Teil des verbleibenden CO2-Budgets aufgebraucht wäre. In der Folge sei mit „massiven Freiheitsbeschränkungen nach 2030 zu rechnen“ gewesen, etwa im Bereich der Konsumgewohnheiten oder der Mobilität, sagte Harbarth.

Zum Schluss seiner Rede betonte der Verfassungsgerichtspräsident, dass sich der Beschluss im Wesentlichen auf „erprobte juristische Figuren zurückführen“ lasse. Innovativ sei vor allem der Gedanke der intertemporalen Freiheitssicherung. Bei Entscheidungen in der Gegenwart sind auch die Auswirkungen auf künftige Generationen zu berücksichtigen. Um die Frage zu beantworten, ob sich dieser Gedanke auf weitere intergenerationelle Konflikte übertragen ließe, etwa auf soziale Sicherungssysteme oder Staatsverschuldung, bedürfe es aber noch viel Forschung. Der Klimabeschluss sei aber in jedem Fall „stark von den naturwissenschaftlichen Sachgesetzlichkeiten des Klimawandels und der objektiven Verfassungspflicht, vor seinen schädlichen Auswirkungen zu schützen“ geprägt, sagte Harbarth.

„Man muss die langfristige Perspektive wählen“

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach verwies auf Gemeinsamkeit zwischen Ökonomie und Rechtswissenschaft.

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion verwies ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD, auf eine Gemeinsamkeit zwischen Ökonomie und Rechtswissenschaft: „Für Ökonomen ist der intertemporalen Freiheitsschutz eine offene Tür“. Ökonomische Berechnungen, etwa beim Thema Renten, zeigten jeher, dass man immer „die langfristige Perspektive“ wählen müsse. Beim Klimaschutz müsse man zudem bedenken, dass „die zukünftige Generation bei einem Wirtschaftswachstum mehr Ressourcen zur Verfügung“ haben werde.

Im Anschluss legte Wambach den Fokus auf das Zusammenspiel zwischen dem nationalen Recht und dem EU-Recht. Im Hinblick auf die aktuellen Spannungen in der EU aufgrund der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts sagte Harbarth: „Was wir in Polen sehen, ist ein systematisch angelegtes Programm zum Abbau von Rechtstaatlichkeit.“ Er machte deutlich, dass das Urteil zum PSPP-Anleihekaufprogramm der EZB keinesfalls zur Abstützung der polnischen Judikatur herangezogen werden könne. Im Gegensatz zum polnischen Verfassungsgericht hätte das Bundesverfassungsgericht in seiner PSPP-Entscheidung gerade ein zu wenig an Rechtstaatlichkeit auf EU-Ebene gerügt. Eine Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei abwegig.

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