Geschlechtergerechtigkeit braucht mehr soziale Innovationen

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Jutta Allmendinger (links) und Achim Wambach (rechts) diskutierten beim vierten #ZEWBookTalk über Geschlechtergerechtigkeit.

Wodurch kann Geschlechterungerechtigkeit vermindert werden? Mit dieser Frage befasst sich Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, Ph.D., Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit über drei Jahrzehnten. Beim vierten #ZEWBookTalk am 5. Mai 2021 lieferte sie nicht nur interessante Einblicke in ihr neues Buch, sondern diskutierte auch mit ZEW-Präsident Professor Achim Wambach, Ph.D., über die sogenannte Gender Lifetime Earnings Gap, warum eine Pandemie klassische Rollenverteilung begünstigt und welche Maßnahmen Geschlechterungleichheiten entgegenwirken.

#ZEWBookTalk mit Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, Ph.D.

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„Eine in Westdeutschland lebende Frau verdient im Laufe ihres Erwerbslebens rund 1,3 Millionen Euro, wohingegen ein Mann auf etwa 1,5 Millionen Euro kommt. Diese Lücke im Erwerbseinkommen bezeichnet man als Gender Lifetime Earnings Gap“, stellte Jutta Allmendinger zu Beginn ihrer Buchvorstellung zum Lebenserwerbseinkommen in Deutschland aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fest. Kämen Kinder hinzu, werde die Kluft noch größer: Mütter erreichen nur ein Lebenserwerbseinkommen von rund 600.000 Euro, während Väter ihr Einkommen sogar etwas steigern können – auf etwa 1,6 Millionen Euro.

„Mütter verdienen rund eine Million weniger im Leben als Väter, doch auch beim Einkommensvergleich zwischen Frauen und Männern ohne Kinder zeigt sich eine Lücke. Differenzen beim Einkommen zwischen Frauen und Männern resultieren vor allem aus längeren Auszeiten der Frauen vom Arbeitsmarkt, etwa durch Geburt, Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen. Zudem arbeiten Mütter häufiger in Teilzeit als Väter, was sich direkt in einem niedrigeren Einkommen niederschlägt“, erklärte die Soziologin Jutta Allmendinger.

Geschlechtergerechtigkeit geht nur gemeinsam

Die Corona-Pandemie begünstige erneut eine klassische Rollenverteilung, stellte Allmendinger fest und ergänzte: „Das liegt daran, dass Frauen häufiger Homeoffice, Haushalt und Kinderbetreuung parallel managen.“ Betreuungsprobleme für Eltern durch die Pandemie-bedingten Schulschließungen rückten nach Allmendinger viel zu spät ins Blickfeld der Politik. Die öffentliche Diskussion solle sich wieder stärker darauf fokussieren, Lösungen zu finden. „Was wir wirklich brauchen, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, sind mehr soziale Innovationen. Dazu müssen Anreize geschaffen werden, damit zukünftig nicht ausschließlich der ältere oder karrieretechnisch fortgeschrittenere Partner arbeiten und der andere die Kinderbetreuung übernimmt“, so das Urteil von WZB-Präsidentin Allmendinger.

In der anschließenden Diskussion mit ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, Ph.D., war die zu anfangs erwähnte Studie der Bertelsmann-Stiftung erneut Thema. „Sind bei der Gender Lifetime Earnings Gap vor allem Mütter und weniger Frauen ohne Kinder betroffen?“, fragte der ZEW-Präsident. Allmendinger sah darin allerdings nicht alleine ein Problem der Mütter. Nach wie vor gebe es deutliche Unterschiede im Einkommen zwischen Frauen und Männern – egal ob sie Kinder hätten oder nicht. „Durch die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung wurden bereits konkrete Maßnahmen wie ein Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen, der Ausbau von Maßnahmen für Gründerinnen und Unternehmerinnen oder eine bessere Entlohnung der Langzeitpflege auf den Weg gebracht“, betonte Allmendinger. Darauf dürfe sich die Politik aber nicht ausruhen, sondern müsse weitere auf Frauen zugeschnittene Maßnahmen anbieten, um die Lücke zwischen den Geschlechtern beim Einkommen und der Pflegearbeit zu schließen.

 „Was braucht es, um mehr Geschlechtergerechtigkeit herzustellen?“, wollte Achim Wambach wissen. Würden mehr Homeoffice-Angebote bei dieser Herausforderung helfen? Nein, eine einzelne Maßnahme reiche nicht, erklärte Allmendinger den rund 170 interessierten Zuschauer/innen und ergänzte: „Es braucht mehr flexible Arbeitszeitmodelle, Förderungsmöglichkeiten für Frauen, etwa im MINT-Bereich, neue Steuermodelle, sowie ein generelles gesellschaftliches Umdenken, warum eine Bekämpfung der Geschlechterungerechtigkeit eben nur gemeinsam funktioniert.“ Das ginge jedoch nur durch die Zusammenarbeit von Frauen und Männern, schloß Allmendinger.

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