Den kurzfristigen Digitalisierungsschub in langfristige Investitionen umwandeln

Nachgefragt

Nachgefragt bei ZEW-Ökonomin Prof. Dr. Irene Bertschek

Prof. Dr. Irene Bertschek erklärt im Interview, wie Digitalisierung zur Krisenresilienz beitragen kann.

Die Corona-Pandemie hat die Weltwirtschaft schwer getroffen. In vielen Ländern hat ein Lockdown das öffentliche Leben über Wochen lahmgelegt. Aber auch die mit den Lockerungen verbundenen Hygiene- und Abstandsregelungen machen es schwieriger, zusammenzuarbeiten, einzukaufen oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. 

Prof. Dr. Irene Bertschek, Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“, erklärt im Interview, welche Rolle die Digitalisierung von Unternehmen für die Krisenresilienz spielt und wie verschiedene Branchen auf die veränderten Bedingungen reagieren können.

Unternehmen waren auf die Covid-19-Pandemie und den daraus resultierenden monatelangen Ausnahmezustand nicht vorbereitet. Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Krisen?

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass digitalisierte Unternehmen viel schneller und leichter auf die veränderten Bedingungen reagieren können. So waren digitale Unternehmen schneller in der Lage, Produkte und Dienste online anzubieten und zu vertreiben, ihre Beschäftigte die Arbeit im Homeoffice fortsetzen zu lassen, ganz zu schweigen von den Videokonferenzen, mit denen Meetings und Dienstreisen ersetzt wurden und die mittlerweile zum Goldstandard der Kommunikation in der Krise geworden sind. Diese Krisenresilienz durch Digitalisierung war aber auch schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 beobachtbar, wie wir in einer ZEW-Studie festgestellt haben. Damals mussten hoch digitalisierte Unternehmen deutlich geringere Produktivitätsrückgänge hinnehmen als gering digitalisierte. 

Hoch digitalisierte Unternehmen erweisen sich also als krisenresistenter. Was bedeutet das mit Blick auf die Corona-Krise?

Hoch digitalisierte Unternehmen sind anpassungsfähiger, sowohl zu Beginn und während einer Krise als auch wenn die wirtschaftliche Aktivität wieder hochfährt, so wie jetzt nach dem Lockdown. Allerdings ist das nicht in allen Branchen gleich einfach. Der unternehmensnahe Dienstleistungsbereich ist hier im Vorteil. So fällt es beispielsweise einem Ingenieursbüro oder einer Versicherung leichter, Dienste online anzubieten und so mit den Kunden in Kontakt zu bleiben. Auch das Arbeiten von zuhause geht einfacher vonstatten. Konsumnahe Branchen haben es deutlich schwerer, da ihre Dienste im Kontakt mit dem Kunden entstehen wie in der Gastronomie oder bei Frisören.

Einige Branchen sind demnach schlechter aufgestellt als andere. Welche Möglichkeiten haben konsumnahe Dienstleister wie Gastronomen und Frisöre?

Gastronomen und Frisöre erlebten einen völligen Nachfrageeinbruch. Sie mussten darauf warten, ihre Geschäftstätigkeit unter Schutzmaßnahmen wieder aufnehmen zu können. Da hilft auch die Digitalisierung nicht unbedingt weiter. Hier kann Digitalisierung allenfalls dazu beitragen, über Online-Werbung sichtbar zu bleiben oder, wie in der Gastronomie zum Teil geschehen, Speisen und Getränke online anzubieten und auszuliefern.

Und wie sieht das bei den Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe aus?

Im verarbeitenden Gewerbe waren solche Unternehmen im Vorteil, die ihre Prozesse bereits automatisiert hatten, zum Beispiel durch den Einsatz von Robotern in der Produktion oder in der Lager-Logistik. Ansonsten oft als Jobvernichter verschmäht tragen Roboter in der Corona-Krise dazu bei, den Abstand zwischen Kolleginnen und Kollegen zu wahren. Allerdings haben zahlreiche verarbeitende Unternehmen mit starken Nachfrageeinbrüchen, auch aus dem Ausland, oder mit Zulieferschwierigkeiten zu kämpfen, so dass die Digitalisierung die Auswirkungen der Krise hier allenfalls abfedern kann.

Kann die Krise also ein Katalysator für digitaleres Arbeiten und Technologien in vielen Unternehmen sein?

Die Corona-Krise hat der deutschen Wirtschaft ganz klar einen Digitalisierungsschub versetzt. Und vieles davon, wie Homeoffice, Videokonferenzen oder Online-Vertrieb, wird wohl –zumindest teilweise – auch nach dem Lockdown Fortbestand haben. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Die Unternehmen sollten jetzt den durch die Corona-Pandemie entstandenen kurzfristigen Digitalisierungsschub für langfristige Investitionen und Umstrukturierungen nutzen. Die Digitalisierung kann zwar die negativen Auswirkungen einer Krise, wie wir sie derzeit erleben, nicht verhindern, aber sie kann sie abfedern und so zur Krisenresilienz beitragen.

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