Spezialisierung schützt vor Beschäftigungsverlusten

ZEW Lunch Debate in Brüssel

Podiumsdebatte thematisiert Folgen der Digitalisierung am Arbeitsmarkt

Auf dem Podium bei der ZEW Lunch Debate in Brüssel (v.l.): Ignacio Doreste, ZEW-Ökonomin Melanie Arntz, Moderator Ralph Sina, Andrea Glorioso und Patrick Schwarzkopf.

Der digitale Wandel ist ein hochdynamischer Prozess, der mithin Europas Arbeitsmärkte trifft. Polarisierung und Ungleichheit stellen dabei zwei der größten Herausforderungen dar, die es zu bewältigen gilt, denn: Interaktive und analytische Tätigkeiten werden dem Wandel standhalten, Routinearbeiten sich künftig eher automatisieren lassen. Während Automatisierungsprozesse in Unternehmen bisher mehr Jobs geschaffen als zerstört haben, kommt es jedoch darauf an, die Menschen für den Arbeitsmarkt der Zukunft durch passende Aus- und Weiterbildungen fit zu machen und fit zu halten. Diese Botschaften transportierte die jüngste ZEW Lunch Debate am 23. Oktober 2019 in der Brüsseler Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union.

Die dritte ZEW Lunch Debate in diesem Jahr begann mit einer Entwarnung: Nicht die reine Zahl, sondern die Art der Jobs wird sich im Zuge der Digitalisierung verändern, versicherte Dr. Ulrich Zierahn, Senior Researcher im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“. Nach einer kurzen Begrüßung durch den stellvertretenden Leiter der baden-württembergischen Landesvertretung in Brüssel, Eyke Peveling, skizzierte der ZEW-Ökonom in einem Impulsvortrag vor rund 80 Fachleuten aus Verbänden, Unternehmen, Zivilgesellschaft und dem Brüsseler Politikbetrieb die Folgen der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt.

Dabei ging Zierahn auf die Ergebnisse einer aktuellen ZEW-Studie ein: „Die Untersuchung der Jahre 1999 bis 2010 hat gezeigt, dass Automatisierungsprozesse bisher mehr Jobs geschaffen als zerstört haben.“ Allerdings sind nicht alle Tätigkeitsfelder gleichermaßen von den Folgen der Digitalisierung betroffen. „Während interaktive und analytische Tätigkeiten dem Wandel standhalten werden, sind vor allem Routinetätigkeiten gefährdet. Damit steigt die Gefahr einer wachsenden Ungleichheit“, so Zierahn. Aufgabe von Politik und Unternehmen müsse es sein, Erwerbstätige durch Training und gezielte Unterstützung auf die Transformation der Arbeitswelt vorzubereiten. Gegenstand der Digitalisierungsdebatte in Europa dürfe weniger der Verlust von Arbeitsplätzen sein, sondern eher die Frage, wie sich der technologische Wandel bewältigen lässt.

„Wir befürchten eine Polarisierung des europäischen Arbeitsmarktes“

Genau darum ging es in der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Ralph Sina, Leiter des Brüsseler Hörfunkstudios beim Westdeutschen Rundfunk. Ignacio Doreste vom Europäischen Gewerkschaftsbund schloss sich den Ergebnissen der Studie an und stritt die Chancen des technologischen Wandels nicht ab. Tatsächlich würde unter Arbeitnehmer/innen jedoch die Angst überwiegen. „Wir befürchten eine zunehmende Polarisierung des europäischen Arbeitsmarktes in Bezug auf Löhne und Fähigkeiten mit gering qualifizierten auf der Verlierer- sowie mittel- und hochqualifizierten Erwerbstätigen auf der Gewinnerseite“, erklärte Doreste.

Andrea Glorioso von der Generaldirektion CONNECT bei der EU-Kommission räumte ein, dass die Behörde diese Sorgen ernstnehmen müsse, betonte aber auch, dass sich die europäischen Mitgliedsstaaten nicht der Verantwortung entziehen dürften: „Die Bewältigung des digitalen Wandels gelingt am besten, wenn wir die Aufgaben der Arbeitsmarkttransformation unter den Mitgliedsstaaten aufteilen. Auf europäischer Ebene müssen wir uns um die Koordination und Weitergabe von Wissen kümmern.“

Mensch und Maschine arbeiten Hand in Hand

Für Prof. Dr. Melanie Arntz, stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“ sowie Ko-Autorin der von Zierahn vorgestellten Studie, kommt es auf die Flexibilität der Arbeitnehmer/innen an: „Digitale Transformation bedeutet nicht, dass wir alle plötzlich lernen müssen zu programmieren. Vielmehr geht es darum, sich dort interdisziplinär zu qualifizieren, wo Technologie nicht weiterkommt.“ Vor allem soziale und kommunikative Fähigkeiten seien in der heutigen Arbeitswelt durch Algorithmen und Roboter kaum zu ersetzen. Die Politik müsse darauf achten, die Menschen bei der Transformation über alle Altersgrenzen und Qualifikationsniveaus hinweg mitzunehmen: „Auch die besten Talente und langjährige Beschäftigte müssen sich neu ausrichten. Wir lernen nie aus.“

Patrick Schwarzkopf, Vorstandsmitglied der International Federation of Robotics (IFR) und Direktor Robotics bei der in Brüssel ansässigen EUnited – European Engineering Industries Association, sieht Lösungen in der hybriden Arbeitsteilung: „Die Talente von Mensch und Maschine verhalten sich komplementär zueinander und können sich gegenseitig ergänzen. Sie sollten Hand in Hand arbeiten, statt in Konkurrenz zu einander stehen.“ Roboter seien etwa in körperlich anstrengenden Aufgaben unschlagbar, der Mensch wiederum bei feinmotorischen, sozialen und kommunikativen Tätigkeiten. Ein idealer Anwendungsbereich sei die Pflege, in der es derzeit an Personal mangele, Fürsorge und persönlicher Umgang aber eine enorme Rolle spielten.

Soziale Sicherung im hochtechnisierten Arbeitsumfeld

Bemerkenswert war Schwarzkopfs Unterscheidung zwischen zweckgebundener und absoluter künstlicher Intelligenz (KI), mit der er an die Aussagen Ulrich Zierahns anknüpfte: „Zweckgebundene KI ist für gezielte Aufgaben wie autonomes Fahren oder Bild- und Spracherkennung bestimmt. Sie kann simple, aber zeitaufwendige Routinetätigkeiten ersetzen, stellt dabei jedoch keinerlei Gefahr für Jobs dar, in der analytisches Denken und menschliches Urteilsvermögen gefragt sind. Im Gegenteil – zweckgebundene KI ist produktivitätssteigernd, indem sie dem Menschen mühselige Arbeit abnimmt.“ Jene KI hingegen, die eigenständig und logisch „denkt“ und Menschen im Job komplett verdrängen könnte, gebe es (noch) gar nicht. Sollte die Wissenschaft doch einmal so weit sein, sei eine ethisch verantwortungsvolle Regulierung unabdingbar, so Schwarzkopf.

Durch zahlreiche interessante Lösungsansätze und Nachfragen brachte sich nach Einbeziehung durch Moderator Sina auch das Publikum in die Diskussion ein. So wurde unter anderem eine Steuer auf Roboter angesprochen, auf deren Basis Weiterbildungsprogramme und Umschulungen finanziert und soziale Sicherungsysteme für Arbeitnehmer/innen in Europa verbessert werden könnten. Die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker habe daran bereits mit Nachdruck gearbeitet, betonte Glorioso.

Melanie Arntz hingegen kritisierte, dass Steuern den Transformationsprozess verlangsamen könnten. Stattdessen befürwortete die Arbeitsmarktökonomin die Stärkung von Arbeitnehmerrechten: „Auf bezahlte Elternzeit, einen guten Schutz im Krankheitsfall und das Recht auf Teilzeitarbeit sollten Erwerbstätige auch in einem hochtechnisierten Arbeitsumfeld zählen können.“ Auch die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sei prinzipiell keine schlechte. Ignacio Doreste hielt zudem eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichbleibenden Löhnen für denkbar. Für welche Lösungskonzepte sich Politik und Arbeitgeber in Europa schließlich entscheiden, werden die kommenden Jahre zeigen.

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