ZEW-Präsident Franz zum Thema "Deutsch"

Standpunkt

In der aktuellen Ausgabe der ZEWnews nimmt der Präsident des ZEW, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz, Stellung zum Thema "Deutsch" als Wissenschaftssprache

Deutsch Gründlichkeit ist eine Eigenschaft, die zu verinnerlichen bekanntlich insbesondere Deutschen zugeschrieben wird. Anscheinend gilt dies ebenso im Zusammenhang mit der Internationalisierung der Wissenschaft. Nur schwer kann man sich des Eindrucks erwehren, es sei hierzulande der wissenschaftlichen Reputation abträglich, sich hin und wieder der deutschen Sprache zu bedienen. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen, sei von vorneherein betont, dass Wissenschaftler ihre Resultate selbstverständlich auch und vielleicht sogar vornehmlich in internationalen englischsprachigen Zeitschriften publizieren und auf internationalen Tagungen in Englisch vortragen müssen, wollen sie für eine möglichst hohe Kenntnisnahme Sorge tragen und Karriere machen. Darum geht es nicht. Ziemlich befremdlich mutet indessen an, wenn bei deutschen Veranstaltungen ohne internationale Beteiligung gleichwohl Englisch gesprochen wird. Dem Vernehmen nach werden an einigen Fakultäten deutschsprachige Gastreferenten gezwungen, selbst vor einem deutschsprachigen Publikum auf Englisch vorzutragen. Mehr noch, deutschsprachige Seminare und Symposien - wohlgemerkt in Deutschland - gelten bei einigen Kollegen als anrüchig, und Einladungen dazu werden entrüstet abgelehnt. Das wissenschaftliche Niveau wird ohne Umschweife als minderwertig abgetan, solange nicht ebenfalls Wissenschaftler aus dem anglo-amerikanischen Raum vortragen. Wenn dann Deutsche in Englisch referieren, grenzen die Sprachkenntnisse mitunter an Peinlichkeit. Analoges gilt für Einreichungen wissenschaftlicher Beiträge in Englisch seitens deutschsprachiger Autoren bei wissenschaftlichen Zeitschriften, wovon jeder Herausgeber ein Lied singen kann. Englisch ist - entgegen einer weit verbreiteten Auffassung - eben keine einfache Sprache, wenn man mehr als ein Bier bestellen möchte. Ohnehin scheint es der wissenschaftlichen Weltgewandtheit förderlich zu sein, möglichst viele "Imponier-Anglizismen" zu verwenden, sofern man überhaupt mal Deutsch spricht. Bei manchen Vorträgen entsteht der Eindruck, dass sich der Referent unschlüssig ist, in welcher Sprache er reden möchte, und sich daher doppelsprachig äußert. Das hat nichts damit zu tun, dass manche Begriffe im Englischen kürzer und prägnanter sein können, aber in vielen Fällen gibt es in der deutschen Sprache ebenfalls einen treffenden Ausdruck. Die Verballhornung der deutschen Sprache mit Anglizismen besitzt aber den Vorteil, defizitäre Kenntnisse der deutschen Grammatik kaschieren zu können. Dass die Kommasetzung einer gewissen Beliebigkeit, wenn nicht sogar Stochastik unterworfen wird, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Des Weiteren scheint der Gebrauch des Genitivs fast völlig aus der Mode gekommen zu sein, zugunsten des Dativs. "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" (B. Sick) ist der Wissenschaft nicht fremd. Da wird in fröhlicher Unbekümmertheit "dem Unternehmen sein Gewinn" oder "dem Konsumenten sein Nutzen" maximiert oder - allerdings eher im Süddeutschen - zu Redewendungen des Typs "die Arbeitslosen, die wo ein Stelle suchen" gegriffen. Wenn dann doch der Genitiv verwendet wird, dann häufig falsch, also beispielsweise in Verbindung mit "gemäß". Das Wort "beziehungsweise" wird regelmäßig fehlerhaft gebraucht, denn meistens "bezieht" sich da überhaupt nichts aufeinander, sondern es müsste "und" oder "oder" heißen. Ich weiß nicht, was im schulischen Deutschunterricht getrieben wird, aber diverse Diplomarbeiten und Dissertationen lassen den Eindruck aufkommen, Deutsch sei in Deutschland bei Deutschen die erste Fremdsprache. Den Autoren, die sich später Führungspositionen erhoffen, darf man nur wünschen, dann eine kompetente Sekretärin oder ein leistungsfähiges Rechtschreibprogramm an ihrer Seite zu haben. Noch einmal: Englisch ist die internationale Sprache der Wissenschaft, aber muss man sich gleich schämen, Äußerungen in Deutsch abzufassen?