ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Begriff "Humankapital"

Standpunkt

Der Beitrag findet sich in der aktuellen Ausgabe der ZEWnews März 2005

Ignoranten

Mein Respekt vor der Zunft der Sprachwissenschaftler hält sich seit einigen Wochen in Grenzen und dies nicht etwa deshalb, weil eine kleine Gruppe selbst ernannter Sprachgutachter das Wort "Humankapital" zum Unwort des Jahres 2004 kürte. Fehlgriffe gibt es überall. Viel bestürzender erscheint der Applaus, den die Jury für ihre Entscheidung gerade von Sprachwissenschaftlern erhielt, bis hin zu Präsidenten und Direktoren diverser Akademien für Sprache und Dichtung. Entweder gehen die im Rahmen der PISA-Studien diskutierten Defizite weit über den schulischen Bereich hinaus, oder die Wahl des Unwortes ist Ausdruck einer bewussten, ideologisch motivierten Strategie, welche den vermeintlichen "Terror des Ökonomischen" in seine Schranken verweisen will.

Ähnlich wie selbst intelligente Menschen sogar im Einstein-Jahr damit prahlen, nichts von Mathematik zu verstehen, und damit Beifall erheischen, gehört es heutzutage in bestimmten Kreisen zum guten Ton, den aus ihrer Sicht ökonomischen Imperialismus anzuprangern. Demnach finden diese Leute Wettbewerb völlig in Ordnung, allerdings nur, solange sie nicht selbst davon betroffen sind. Mit Hingabe holen sie beim Autokauf mittels Feilschens um weitere Rabatte das letzte Zugeständnis aus der Automobilfirma heraus oder pochen bei ihrer Bank auf hohe Zinsen bei geringstem Risiko. Wenn indes beide Unternehmen um der Erfüllung dieser Kundenwünsche halber Kostensenkungsprogramme durchführen und Arbeitsplätze wegrationalisieren oder ins Ausland verlagern, dann wird dies als unsozial beziehungsweise unpatriotisch gebrandmarkt. Da ist man doch lieber "Gutmensch" und gibt sich der Illusion hin, dass solche Vorteile wie Manna vom Himmel fielen. "Fair trade" macht sich als Wort allemal besser als "internationaler Standortwettbewerb". Als Verstoß gegen die Menschenwürde wird beklagt, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II ihr Vermögen offen legen und Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen akzeptieren müssen. Wenn die betreffenden empörten Armutsfunktionäre jedoch um Finanzierungsvorschläge für die von ihnen eingeforderten komfortablen Sozialleistungen gebeten werden, fällt ihnen außer einer Vermögenssteuer nicht viel ein, um sich anschließend über die Kapitalflucht nach Luxemburg zu beschweren. Überhaupt widmet man sich lieber der Verteilung des Sozialprodukts; dass dieses erst einmal erstellt werden muss, wird tunlichst ignoriert.

Humankapital zum Unwort des Jahres 2004 zu deklarieren, stellt einen krassen Missgriff dar, selbst wenn die Jury damit die Wichtigkeit des Bestandes an Wissen und Fertigkeiten für das ökonomische Wohlergehen und die individuelle Selbstverwirklichung nicht in Abrede zu stellen beabsichtigte. Sie hat aber genau diese Wirkung in der Öffentlichkeit erzielt und hätte dies voraussehen müssen, zumal sie Humankapital in die Gesellschaft anderer Unwörter rückt wie etwa "Rentnerschwemme" oder "sozialverträgliches Frühableben". Zwar ist Humankapital untrennbar mit den Menschen verbunden, aber aus der Analogie mit Investitionen in Sachkapital und deren Abschreibungen zu folgern, Menschen würden zu "nur noch ökonomisch interessanten Größen" degradiert (wie es in der Begründung zum Unwort heißt), ist abwegig. Stellt "Vertrauenskapital", das jemand genießt, ebenfalls ein Unwort dar? Das Gegenteil trifft zu: Beide Kapitalbegriffe werten den Menschen auf.
Nicht, dass Ökonomen frei von Sprachverirrungen wären. "Kapitalstock" anstelle von Kapitalbestand mag noch angehen, aber der Plural in Form von "Kapitalstöcken" bezeichnet mein ökonomisches Lieblingsunwort. Unangebracht sind des Weiteren Begriffe wie "natürliche Arbeitslosigkeit", denn nichts an einer Unterbeschäftigung ist natürlich. Und da wir gerade beim Thema sind: "Strukturelle Arbeitslosigkeit" gehört meines Erachtens, weil völlig nichts sagend, genauso aus dem Wortschatz verbannt, aber das wissen Sie ja.