Der Beitrag ist in der ZEWnews Juli/August 2004 erschienen.

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik beginnt meistens mit dem Mut zur Offenheit. Dies gilt nicht zuletzt beim „Aufbau Ost“.

Erstens sollte man sich davor hüten, die Entwicklung in Ostdeutschland schlecht zu reden. Dort ist seit dem Jahre 1990 auf vielen Feldern Großartiges geleistet worden, die Aufbauerfolge und Fortschritte in der Infrastruktur, dem Städtebau und dem Umweltschutz sind immens. Bei einem Besuch Ostdeutschlands wird mancher Bürgermeister aus Westdeutschland von Melancholie ergriffen, wenn er einschlägige Vergleiche anstellt. Leider werden diese und andere höchst erfreuliche Aufbauleistungen mittlerweile als Selbstverständlichkeit betrachtet und bestenfalls nur noch am Rande wahrgenommen.

Zweitens besteht Anlass zu der Vermutung, dass der Aufbau Ost vorankommt, insoweit er derzeit durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Westdeutschland und den allmählich zum Stillstand kommenden Schrumpfungsprozess in der ostdeutschen Bauindustrie gehemmt wird. Anders formuliert: Die dringend erforderliche und unlängst vom neuen Bundespräsidenten Köhler nachdrücklich angemahnte Stärkung der Wachstumskräfte in Deutschland beschleunigt den Aufbau Ost. So gesehen bedarf es weniger eines Sonderbeauftragten Ostdeutschland, sondern vielmehr einer klugen und beherzten Wachstumspolitik, das heißt die Politik verbessert die Angebotsbedingungen hierzulande und die Tarifvertragsparteien verfolgen einen beschäftigungsfreundlichen lohnpolitischen Kurs.

Der dritte Aspekt kommt als bittere Erkenntnis, nämlich dass nicht jede ostdeutsche Region am Aufbauprozess gleichermaßen partizipieren wird. Vergleichsweise harmlos stellt sich das für die bekannten ostdeutschen Regionen mit wunderschönen Landschaften dar, die ihr Potenzial durch eine Erschließung für den Tourismus zur Geltung bringen können. Bitter ist es vielmehr für Regionen, die – wie es in verniedlichender Umschreibung heißt – passiv saniert, das heißt im Klartext, hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung vorerst abgeschrieben und stattdessen etwa als großflächige Naturschutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Gewiss: Niemand sollte die persönlichen Härten für die betroffenen Menschen verkennen und ihnen Anpassungshilfen verweigern. Aber: Die Politik muss den Mut aufbringen, es den Menschen zu sagen. Illusionen bringen den Aufbau Ost nicht voran. Tröstlich mag allenfalls klingen, dass es in fast allen Ländern „Mezzogiornos“ in unterschiedlicher Dimension gibt und dies kein Verdikt mit Ewigkeitswert bedeutet. Die Wirtschaftsgeschichte kann mit zahlreichen Beispielen für den Aufstieg und Abstieg von Regionen aufwarten. Gleichwohl: Das nützt den derzeit Betroffenen herzlich wenig.

Viertens sollten Berater gleich welcher Zunft dem Eindruck in der Öffentlichkeit entgegen treten, es gebe so etwas wie einen Königsweg zur Blüte Ostdeutschlands. Etwas überspitzt formuliert, die Regionalökonomie befasst sich seit jeher mit zahllosen Analysen, warum die eine oder andere regionalpolitische Fördermaßnahme mal erfolgreich, mal unergiebig, mal kontraproduktiv war, ohne zu allgemein gültigen Schlussfolgerungen zu kommen. Sicherlich mag es gute Gründe geben, eine schwerpunktmäßige Förderung von Wachstumspolen oder Clustern gegenüber einer flächendeckenden Subventionierung zu bevorzugen. Aber wie diese Schwerpunkte identifiziert und gefördert werden sollen, ist ebenso eine offene Frage wie die, wer sich diesen Aufgaben widmen oder sie verantworten soll. Abwegig ist die Vorstellung, jeder Technologiepark heute sei das Silicon Valley von morgen. Genauso weltfremd erscheint die Vorstellung, Mitnahmeeffekte bei Fördermaßnahmen könnten gänzlich ausgeschaltet werden oder sie seien ein Spezifikum Ostdeutschlands. „Spaßbäder“ gibt es – im übertragenen Sinn – überall.