Der Beitrag ist in der November-Ausgabe der ZEWnews erschienen.

Bei der Gewichtung der Auswahlkriterien für die Besetzung vakanter Lehrstühle zeichnen sich in einigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten Deutschlands in den vergangenen Jahren Tendenzen ab, die eine behutsame Reflexion angezeigt erscheinen lassen. Selbstverständlich gebührt beim Auswahlkriterium das höchste Gewicht der wissenschaftlichen Exzellenz der Bewerber. Das sollte völlig unstrittig sein und ist es in der Regel auch. Allerdings mutiert diese Richtschnur in ihrer praktischen Ausgestaltung hin und wieder zu einem bloßen Zählappell von wissenschaftlichen Beiträgen in international höchst angesehenen Zeitschriften. Alle anderen Aspekte bleiben unberücksichtigt, wie beispielsweise weitere wissenschaftliche Arbeiten, das didaktische Können, die Teamfähigkeit und die Kooperationsbereitschaft. Folgerichtig werden die Bewerber lediglich nach der Anzahl ihrer Publikationen in den internationalen Top-Journalen gereiht (gegebenenfalls erfolgt eine Normierung im Hinblick auf das Lebensalter), und nur die ersten fünf Platzierten werden überhaupt zu einer Vorstellung eingeladen. Das ist sicherlich in einer Reihe von Fällen gut gegangen, aber Fehlentwicklungen können in einzelnen Fakultäten ebenfalls besichtigt werden. Bei den Lehrveranstaltungen der dergestalt Berufenen verdient vor allem die Leidensfähigkeit der Studierenden Bewunderung, während die Forschungsaktivitäten der betreffenden Fakultät durch chaotische Glasperlenspieler bereichert werden, um es überspitzt zu formulieren. Noch einmal: Hier wird nicht einer wissenschaftlichen Mittelmäßigkeit das Wort geredet, sondern zu bedenken gegeben, ob sich das Auswahlkriterium allein in der Anzahl von Artikeln in Top-Journalen erschöpfen sollte. Mittlerweile hat sich diese Tendenz nämlich bei den Nachwuchswissenschaftlern herumgesprochen, mit teilweise irritierenden Folgen. So setzte mir unlängst ein durchaus vielversprechender Nachwuchswissenschaftler haarklein auseinander, wie er mit Hilfe eines "strategischen Zitierens" einen Beitrag in einer sehr angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift "untergebracht" habe; von dem Inhalt des Beitrags war zu meiner Überraschung allenfalls am Rande die Rede. Ohnehin existieren dem Vernehmen nach insbesondere in angelsächsischen Wissenschaftskreisen diverse "Zitierzirkel" (also: "zitierst Du mich, zitier ich Dich"). Vor einigen Jahren beantwortete ein amerikanischer Wissenschaftler die Frage, warum er nicht den in einer renommierten, englischsprachigen Fachzeitschrift abgedruckten Originalbeitrag deutscher Wissenschaftler, sondern lieber dessen einleitende Zusammenfassung seitens eines anderen amerikanischen Wissenschaftlers zitiert habe, mit "It does not pay off to quote a German", wobei er dies in ausgesprochen liebenswürdigem Ton als ziemliche Selbstverständlichkeit von sich gab. Die ausschließliche Fixierung auf die beschriebenen Publikationen hat weitere Folgen, die berücksichtigt werden sollten. Jegliches Engagement in der akademischen Selbstverwaltung, im wissenschaftlichen Gutachterwesen (etwa bei Forschungsförderinstitutionen oder wissenschaftlichen Zeitschriften) oder in der wirtschaftspolitischen Beratung ist, gemessen an einem solchen Ausschließlichkeitskriterium, eher karriereschädlich. Wer soll diese wichtigen Aufgaben dann wahrnehmen - diejenigen, die den Zenit ihres wissenschaftlich ertragreichen Schaffens überschritten haben? Wer soll sich dann noch mehr als unbedingt erforderlich in der Lehre engagieren - die Juniorprofessoren, die jene (Groß-)Veranstaltungen zu übernehmen haben, zu denen ihre Kollegen keine Zeit oder Lust haben? Fazit: Wissenschaftliche Exzellenz - unbedingt, pure Zählappelle - bedenklich.