ZEW-Präsident Franz zum Stabilitäts- und Wachstumspakt

Standpunkt

Dieser Beitrag ist in den ZEWnews April 2003 erschienen.

Pakt
Gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung vom14. März hat der Bundeskanzler zum Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) Stellung genommen. "Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsolidierung und an dem im Stabilitätspakt vereinbarten Rahmen fest. Nur: Dieser Pakt darf nicht statisch interpretiert werden. Er lässt Raum für Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse."Was ist damit gemeint: "nicht statisch interpretieren"?

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der SWP ein beträchtliches Maß an Flexibilität aufweist. Erstens erlaubt er die Hinnahme konjunkturbedingter Defizite bis zu einer Höhe von 3 v. H. des Bruttoinlandsprodukts, also gut 63 Milliarden Euro hierzulande. Das ist ein ansehnlicher Betrag, mit dem normale konjunkturell bedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben finanziert werden können - vorausgesetzt, ein nicht-konjunkturbedingtes ("strukturelles") Defizit wurde vorher auf den Wert null zurückgefahren. Zweitens tragen die Regeln des SWP einer schweren Rezession Rechnung. Eine solche liegt vor, wenn das reale Bruttoinlandsprodukt innerhalb eines Jahres um mindestens 2 v. H. gesunken
ist. Ein schwer wiegender Wirtschaftsabschwung kann aber auch bei geringeren Rückgängen konstatiert werden. Drittens berücksichtigen die Bestimmungen des SWP auch außergewöhnliche Ereignisse wie Kriege oder Naturkatastrophen, allerdings unter der Einschränkung, dass "dies Ereignis sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedsstaats entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt".

Nicht der SWP ist also das Problem, sondern unzureichende Konsolidierungsanstrengungen in den vergangenen Jahren sind es. Von vielen (wissenschaftlichen) Institutionen wurde die Rückführung des strukturellen Defizits mit Vehemenz angemahnt - vergeblich. Nach Berechnungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung belief sich hierzulande das "strukturelle" Defizit im Jahr 2002 auf sage und schreibe 2 3/4 v. H., lag mithin knapp unterhalb der Defizitobergrenze von 3 v. H. Jetzt ist der Katzenjammer verständlicherweise groß, weil die Reserven fehlen, um mögliche weitere konjunkturbedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben hinnehmen zu können, so wie es eine antizyklische Finanzpolitik eigentlich verlangte. Hochkonjunktur haben mithin "Uminterpretationen" des SWP.

Die Rede ist beispielsweise davon, staatliche Investitionen aus den Berechnungen des Defizits herauszunehmen, weil sie doch wachstumsfördernd seien. An der positiven Wirkung einiger staatlicher Investitionen für das Wirtschaftswachstum mag sicherlich etwas dran sein - der Bildungsbereich kann als Beispiel dienen -, aber es lässt sich
leicht ausmalen, wie Heerscharen von "kreativen Buchhaltern" nahezu jedwede staatliche Ausgabe als "Investition" deklarieren, weil sie angeblich wachstumsfördernd sei. Die "kreative Buchführung" ist uns allen doch wohl noch in Erinnerung, als es seinerzeit um die Erfüllung der Konvergenzkriterien
ging!

Ein anderer Vorschlag läuft darauf hinaus, eine niedrigere Defizitobergrenze lediglich für das "strukturelle" Defizit zu bestimmen. Auch dieser Vorschlag hat etwas für sich, aber die eben vorgetragenen Gegenargumente greifen wiederum, weil es kein allgemein akzeptiertes Verfahren zur Berechnung eines "strukturellen" Defizits gibt und es nicht der Kreativität der einzelnen Staaten anheim gestellt werden darf, welcher Teil des staatlichen Defizits konjunkturbedingt
und welcher "strukturell" ist.

Nein, jetzt, wo der SWP seine erste Bewährungsprobe zu bestehen hat, gibt es an ihm nichts zu deuteln, des Vertrauens für den Euro wegen. Es mag misslich sein, derzeit weiter konsolidieren zu müssen. Aber: Wer nicht hören wollte oder will, muss fühlen.