ZEW-Präsident Franz über Reformpolitik und immer neue Reformkommissionen

Standpunkt

Dieser Beitrag ist in den ZEWnews März 2003 erschienen.

Geier Sturzflug Vor rund zwanzig Jahren stürmte die Band "Geier Sturzflug" mit einem Schlager die westdeutschen Hitparaden, dessen Refrain lautete: "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt". In der Öffentlichkeit wurde dieses Lied als "Wendehit" apostrophiert, was immer damit im Einzelnen gemeint gewesen sein mag, obwohl man es wohl genauso gut als Attacke gegen die Leistungsgesellschaft hätte interpretieren können. Wie auch immer, vielleicht versuchte die Band eine (latent vorhandene) Aufbruchstimmung einzufangen oder zu vermitteln, ob zu Recht, kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben. Denn die Intention der seinerzeitigen Liedermacher steht in krassem Gegensatz zu der einer "Gerd Show", welche derzeit in hiesigen Schlagerhitlisten dominiert, und die sich eher des Mittels der Herabsetzung eines führenden Politikers bedient. Wäre - wie seinerzeit - ein Schlager mit ähnlich eingängiger Melodie, der dazu aufruft, die allseits als dringlich angemahnten Reformen nun endlich in Angriff zu nehmen, nicht des Schweißes der zuständigen Edlen wert? Im Ernst: Es ist kein Zeichen übertriebener Ungeduld, wenn die Leute des Einsetzens von Kommissionen und des Anfertigens von Reformpapieren überdrüssig werden, so hochrangig und sachverständig diese Expertengruppen auch immer sein mögen, die sich indessen mehr und mehr mit dem Problem konfrontiert sehen, fast jedes Mal das Rad neu erfinden zu sollen. Denn zu nahezu allen Reformprojekten liegt eine Reihe von ausgearbeiteten Gutachten vor, verfasst von angesehenen und fachlich ausgewiesenen Gremien: Sachverständigenräte, Wissenschaftliche Beiräte, Kronberger Kreis, Enquete-Kommissionen, etc. Teilweise überschneiden sich die Mitgliedschaften einzelner Personen in früheren und neuen Kommissionen. Mit anderen Worten: Es sind meist die "üblichen Verdächtigen", deren Namen immer wieder genannt und deren Leidensfähigkeit mitunter aufs Neue strapaziert wird, denn diese Tätigkeit ist nicht selten alles andere als vergnügungssteuerpflichtig, um es einmal salopp zu formulieren. Nein, jetzt muss die Politik "in die Hände spucken", bildlich gesprochen, bitte schön. Unter Zuhilfenahme des oft exzellenten Fachwissens in den Ministerien, dessen sich die Politik, zumindest aber die Regierung, bedienen sollte, müssen die unterschiedlichen Reformvorschläge in einer Synopse zusammengefasst und ihre spezifischen Vorzüge und Nachteile herausgearbeitet und bewertet werden. Dazu mag es sinnvoll sein, deren Autoren (nochmals) anzuhören, aber das ist es dann auch. Fortan muss die Politik entscheiden und mit der Umsetzung beginnen. Gewiss: Eine durchgreifende Reformpolitik wird Heerscharen von Bedenkenträgern und Besitzstandswahrern auf den Plan rufen, die schon beim ersten Hauch eines Reförmchens Zeter und Mordio schreien. Aber: Dem muss sich die Bundesregierung stellen, um dem geleisteten Amtseid Rechnung zu tragen, nämlich "... meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkeswidmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, ..." (Artikel 56 Grundgesetz). Nicht völlig abwegig wäre es, kleine Anleihen bei Mrs. T. zu nehmen, denn warum soll es nur eine "eiserne Lady" geben. Hierbei sei allerdings von der Einführung einer Kopfsteuer als Gemeindesteuer abzuraten, die - wiewohl ökonomisch in diesem Fall gut begründbar - Mrs. T. politisch den Kopf gekostet hat. Vielleicht könnte die Bundesregierung den Reformwiderstand einiger Gruppen zudem durch das Versprechen aufweichen, die Reform, soweit dies möglich ist, auf Probe einzuführen, das heißt, sie nach einer angemessenen Zeit - fünf bis zehn Jahre - erneut im Parlament zur Abstimmung zu stellen. Warum geht mir bloß die Melodie nicht aus dem Sinn: "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, ..."?