ZEW-Präsident Franz spricht sich gegen Mindestlohn aus - Protektionismus

Standpunkt

Wenn der Wettbewerb ungemütlich zu werden droht, feiert der Protektionismus trotz gegenteiliger Beteuerungen Urständ. Als Reaktion auf Beschwerden über einen angeblich unfairen Wettbewerb auf dem hiesigen Markt für Bauleistungen beschloss der deutsche Bundestag im Jahre 1996 das "Arbeitnehmer-Entsendegesetz".

Demzufolge sind Bauunternehmen aus den anderen Staaten der Europäischen Union (EU) verpflichtet, ihren nur temporär nach Deutschland entsandten Beschäftigten die hierzulande herrschenden Löhne zu zahlen, sofern diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Flugs erfolgte eine Allgemeinverbindlicherklärung von tariflichen Mindestlöhnen seitens des seinerzeitigen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.

Damals war es unsere Bauindustrie. Heute beklagen sich die Beschäftigten deutscher Schlachthofbetriebe, weil dort vor allem polnische Arbeitskräfte vorübergehende Dienstleistungen zu den niedrigen Löhnen ihres Heimatlands erbringen.

Allgemeinverbindliche Mindestlöhne (für polnische Fleischer) stellen einen Einfuhrzoll auf Arbeit dar. Um zu vermeiden, dass statt Arbeit nunmehr preiswertere (polnische) Fleischwaren importiert werden, müssten konsequenterweise entsprechende Einfuhrzölle innerhalb der EU erhoben werden. Aber wieso eigentlich nur für Fleischwaren und nur in der EU und nicht auch für alle Produkte innerhalb Deutschlands? Ist es denn nicht skandalös, dass ein nicht tarifgebundenes sächsisches Unternehmen, welches einen Auftrag in Bayern ausführt, sächsische Löhne und nicht die höheren bayerischen Tarifentgelte zahlen darf? Diesem "Lohndumping" muss doch wohl Einhalt geboten werden, notfalls eben mit Zöllen! Im Ernst: Über kaum einen anderen Sachverhalt besteht in der Volkswirtschaftslehre so viel Einigkeit wie über die schädlichen Wirkungen von Mindestlöhnen. Dazu liegen hierzulande einschlägige Erfahrungen vor.

Erstens stiegen in den vergangenen Jahrzehnten die unteren Lohngruppen überproportional, die qualifikatorische Lohnstruktur wurde gestaucht. Nicht zuletzt deshalb sind gering qualifizierte Arbeitnehmer ungleich stärker von Arbeitsplatzverlusten betroffen. Zweitens stellten bis vor kurzem die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe einen impliziten Mindestlohn dar. Er führte dazu, dass arbeitsfähige Empfänger dieser Unterstützungszahlungen eine Arbeit im ersten Arbeitsmarkt, deren Entlohnung häufig geringer war, nicht aufnahmen, sondern eher in der Schattenwirtschaft tätig wurden. Mit der Einführung des Arbeitslosengelds II hat die Bundesregierung erste Schritte zur Behebung dieser Fehlentwicklung eingeleitet. Wieso jetzt wieder ein Mindestlohn?

Gewiss: In zahlreichen anderen Ländern existiert ein gesetzlicher Mindestlohn. Aber: Vielfach ersetzt er eine dort kaum vorhandene Mindesteinkommenssicherung. Außerdem bindet er häufig nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Unternehmen oder wird angesichts geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten oder wenig scharfer Sanktionen missachtet. Verschiedentlich verliert er seine faktische Bindungswirkung zudem dadurch, dass er in nominalen Geldeinheiten definiert ist und ohne Anpassung auf Grund von Preissteigerungen allmählich real entwertet wird oder Unternehmen ihn mit Hilfe erhöhter Leistungsvorgaben an ihre Belegschaft unterlaufen. Nur für sehr spezielle und eher seltene Märkte kann es vorkommen, dass ein Mindestlohn positive Beschäftigungseffekte erbringt. Im Allgemeinen belegen zahlreiche empirische Studien die beschäftigungsfeindlichen Wirkungen eines Mindestlohns, insbesondere für Jugendliche, wie Erfahrungen in Frankreich zeigen.

Wie man es auch dreht und wendet, Protektionismus löst keines der Probleme, sondern schafft lediglich neue.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz
Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim