Strategische Forschungs- und Förderperspektiven für Baden-Württemberg

Forschung

Materialforschung, biologisch/biochemische Forschungsmethoden, medizinische Chemie, Umwelt- und Energieforschung und moderne Verfahrenstechniken besitzen für eine weitsichtige Planung der Forschung im Land den höchsten Stellenwert. Das ist das Ergebnis der Studie "Strategische Forschung in Baden-Württemberg", welche die Landesstiftung Baden-Württemberg heute in Stuttgart vorgestellt hat. Die Autoren der Studie sind Wissenschaftler des Instituts für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung (IWW) an der Universität Karlsruhe, des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Strategische Entscheidungen zur Forschungsförderung erfordern eine umfassende Kenntnis über die Wissenschaftslandschaft und vorausschauendes Denken in größeren Zusammenhängen. Die dafür notwendige Analyse ist von Einzelnen kaum zu leisten. Die Landesstiftung ist deshalb innovative Wege gegangen, um ihrer Forschungsförderung neue Grundlagen zu bieten. Für die nun vorgelegte Foresight-Studie wurden erstmals verschiedene wissenschaftliche Analysemethoden kombiniert. Dadurch konnten die Vorteile einzelner Methoden addiert und so noch aussagefähigere Ergebnisse erzielt werden.

"Alle forschungsfördernden Einrichtungen haben begrenzte Mittel zur Verfügung und meist ein sehr viel größeres Volumen interessanter Anträge vorliegen" sagte der Geschäftsführer der Landesstiftung, Prof. Dr. Claus Eiselstein bei der Präsentation der Studie. "Die falsche Auswahl zu treffen, hieße Geld zu verschwenden. Die Landesstiftung betrachtet deshalb die Ergebnisse dieser Studie als eine wichtige Entscheidungshilfe für ihre zukünftigen Forschungsschwerpunkte" so Eiselstein weiter.

Die Studie "liefert solide Informationen, die für Weichenstellungen bei der Gestaltung der Zukunft des Landes erforderlich sind", erklärt Prof. Dr. Hariolf Grupp (Universität Karlsruhe und Fraunhofer Gesellschaft), der die Untersuchung leitete.

In allen Wissenschaftsgebieten zählt die Finanzierung der Grundlagenforschung sowie die Förderung talentierter Nachwuchswissenschaftler nach Auffassung nahezu aller im Rahmen der Studie Befragten zu den unmittelbaren und dringendsten Aufgaben der strategischen Forschungsförderung in Baden-Württemberg. Sie sind in den Augen der Forscher die Grundbausteine für Innovationen und eine auf Nachhaltigkeit orientierte Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Studie bedient sich erstmalig zweier Instrumente, um die Forschungsleistungen in Baden-Württemberg zu analysieren: Zum einen nutzen die Wissenschaftler das Know-how der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG/ISI), indem sie systematisch die weltweit bedeutendsten Fachpublikationen auswerten und Regionen zuordnen. Für eine Trendbestimmung wurde hierbei die Entwicklungsdynamik in 170 Wissenschaftsfeldern bestimmt und die im internationalen Vergleich dynamischsten Wissenschaftsgebiete identifiziert. Zur Beurteilung der Lage der Forschung in Baden-Württemberg wurden die Ergebnisse des Landes in Relation zur Welt und zu Deutschland gestellt. Zum anderen wurden unter Verwendung umfangreicher Unternehmens- und Wissenschaftsrecherchen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mehr als 480 Forscher an Hochschulen und Unternehmen im Land in zwei ausführlichen Befragungsrunden um ihre Einschätzungen gebeten. Dr. Andreas Fier (ZEW) erklärt hierzu, "dass die beeindruckende Resonanz der befragten Forscher der Politik interessante Handlungsoptionen für Strategien und die Zukunft des Landes eröffnen".

Schwerpunkte der Untersuchung waren die Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie die medizinische Forschung. Eine Vollerhebung der 170 Wissenschaftsfelder schied aus Kosten- und Zeitgründen aus. Ebenso wurden Themen, die bereits Bestandteil der Forschungsförderung der Landesstiftung sind, wie z.B. die Optischen Technologien, nicht berücksichtigt. Ziel war es, 12 Wissenschaftsgebiete näher zu untersuchen. Besondere Priorität räumt die Studie den Wissenschaftsgebieten Materialforschung, biologisch/biochemische Forschungsmethoden, medizinische Chemie, Umwelt- und Energieforschung sowie moderne Verfahrenstechniken ein.

Die Materialforschung ist eine Querschnittstechnologie, die nicht nur die modernen Verfahrenstechniken und die Produktionsforschung, sondern auch die Umwelt- und Energieforschung berührt. Im internationalen Vergleich behaupten baden-württembergische Forscher Spitzenpositionen sowohl in der Grundlagen- als auch der angewandten Forschung. Die Entwicklung neuer Materialien ist sowohl für die Informationstechnik, aber auch für die Biotechnik, essenziell. Die Entwicklungen in der Materialforschung fördern die technologische Leistungsfähigkeit einer Reihe spezialisierter und in Baden-Württemberg angesiedelter Firmen. Um die Entwicklungsdynamik zu erhöhen, empfiehlt die Studie vorhandene Ansätze in Baden-Württemberg weiter auszubauen. Über 40 % der in der Materialforschung aktiven Unternehmen schätzen die Verbesserung der Kooperationen zwischen Industrie und Wissenschaft als ausschlaggebend ein für den Ausbau firmeneigener Forschungsanstrengungen.

Das Einsatzspektrum der biologisch/biochemischen Forschungsmethoden reicht von der Untersuchung molekularer Systeme und der Modellierung komplexer biologischer Prozesse bis hin zu ihrer Anwendung in der Medizin und in der Lebensmittelwissenschaft. Das Wissenschaftsgebiet zeichnet sich insgesamt durch eine hohe Entwicklungsdynamik aus. Baden-Württemberg hält hier mit der internationalen Entwicklung Schritt. Die Studie empfiehlt eine Förderung der eher anwendungsorientierten Forschung. Auch die Industrie geht davon aus, dass die wirtschaftliche Relevanz der Ergebnisse dieses Wissenschaftsgebietes künftig wachsen wird.

Die medizinische Chemie und die mit ihr eng verknüpfte pharmazeutische Forschung und Entwicklung haben in Deutschland eine lange und erfolgreiche Tradition. In Baden-Württemberg wird in diesem Sektor vor allem in der Grundlagenforschung internationale Spitzenforschung betrieben. In der Wachstumsdynamik bleibt Baden-Württemberg jedoch etwas hinter der weltweiten Entwicklung zurück. Eine gezielte Förderung kann helfen, die mittel- und langfristige Wettbewerbsposition zu verbessern.

Laut Expertenmeinung gehört Baden-Württemberg auch in der Umwelt- und Energieforschung zur internationalen Spitze. Dieses Gebiet zeichnet sich ebenfalls durch ein dynamisches Wachstum aus. Bei insgesamt sehr guter qualitativer Leistung, benötigt Baden-Württemberg hier eine deutliche Unterstützung hinsichtlich des Umfangs an Forschungsaktivitäten. Bereits jetzt ist die Industrie ein wichtiger Förderer in diesem Wissenschaftsgebiet. Strategische Forschung muss daher die künftige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen und kreative Grundlagenforschung stärken.

Das Gebiet der Modernen Verfahrenstechniken ist insgesamt breit und sehr heterogen. Hier zeigt sich eine beachtliche Wachstumsdynamik, so dass Baden-Württemberg besonderer Anstrengungen bedarf, um nicht von der internationalen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Die Förderung sollte sich auf einige spezielle Teilgebiete konzentrieren, um die derzeit positive Wettbewerbsposition nachhaltig zu stützen und auszubauen. Damit wird auch die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Industrie gelegt, die als wichtiger Förderer in diesem Gebiet in Erscheinung tritt.

Die Studie empfiehlt, diesen fünf Wissenschaftsgebieten Priorität bei der Festlegung neuer Forschungsprogramme einzuräumen. Gleichwohl bergen auch die anderen sieben Wissenschaftsgebiete, die in der Studie analysiert wurden, aussichtsreiche Forschungspotenziale in sich, denen sich die Forschungsförderung mittelfristig zuwenden sollte.